Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Reality Check

Reality Check

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Als Schwaighofer an diesem nebelverhangenen Morgen das Haus verließ, kam ihm Wien irgendwie komisch vor. Es fing schon damit an, dass der 13A mit einem Mal wieder ein Stockbus war. Zuerst dachte Schwaighofer, das sei deshalb, weil die Fußgängerbeauftragte, der Radfahrbeauftragte und die neue Begegnungszonenbeauftragte im ersten Stock ihr mobiles Mariahilfer-Straßen-Beobachtungsbüro eingerichtet hatten, weil es sich von oben herab schließlich besser evaluierte.

Doch als er den Bus dann von der Seite sah, wusste er sofort, dass er den Grünen mit dieser Vermutung himmelschreiendes Unrecht zugefügt hatte – etwas, das ihnen in letzter Zeit ja leider laufend passierte, beginnend mit der Nationalratswahl, bei der plötzlich ein gar nicht so kleiner Teil ihrer bisherigen Wähler unerklärlicherweise zu moralisch minderwertigen Neoliberalen mutiert war. Denn auf dem Doppeldecker prangte der Kopf von Eugen Freund. Und für den Spitzen-kandidaten wäre eine weniger überlebensgroße Darstellung auf einem kleineren Bus klarerweise eine kaum zu verdauende Kränkung gewesen. Auch da ging es ihm wie Bill Clinton. Wie in so vielen Dingen. Im Stillen hoffte Eugen ja auch darauf, irgendwann einmal in einem Interview gesellig sagen zu dürfen: „I did not have sexual relations with that woman!“ Oder, wenn sich schon diese Chance nicht auftun sollte, dann wenigstens: „I didn’t inhale!“

Schwaighofer stieg in den Bus und griff sich die Gratiszeitung, die neben ihm auf dem Sitz lag. Diese berichtete hauptsächlich über das objektiv wichtigste Geschehen dieser Tage, nämlich das Befinden einiger Menschen, die keiner kannte, im australischen Dschungel – und was Mausi Lugner dazu sagte. Aber auch einige Orchideenthemen wurden abgehandelt. Die ÖVP zum Beispiel. Deren Vorsitzender ließ in Bezug auf die Streitigkeiten in seiner Partei verlauten: „Wir alle leben im IT-Zeitalter, da gibt es die Reset-Taste, die drücken wir heute.“ Diese Taste kannte Schwaighofer zwar nicht, aber wahrscheinlich lebte er einfach in einem anderen IT-Zeitalter als die ÖVP.

Die Arbeiterkammer wiederum wehrte sich vehement dagegen, die geplante Streichung des Gewinnfreibetrags bei Selbstständigen, das Äquivalent der steuerlichen Begünstigung des 13. und 14. Monatsgehalts, wieder zurückzunehmen. Schwaighofer fühlte sich schuldig, als er das las. Er war zwar als unfreiwilliger neuer Selbstständiger eines von den knapp 300.000 Ein-Personen-Unternehmen in Österreich – aber keineswegs so unsensibel, dass er sich für seine ihm dadurch quasi in den Genen liegende ausbeuterische Gier auf Kosten der arbeitenden Massen nicht geniert hätte. Und er fand es daher nur fair, wenn ihm ein mittels Zwangsbeiträgen finanzierter Hort der Gerechtigkeitspflege ab und zu zeigte, wo der Hammer hing.

Oh, Michael Häupl und Hans Niessl forderten, im Gegensatz zur jüngst leider wieder einmal aufgetauchten Idee, den Bundesrat doch endlich abzuschaffen, vielmehr eine Aufwertung desselben. Auch dafür war Schwaighofer leicht zu begeistern. Es war hoch an der Zeit, den Föderalismus von den schweren Ketten, die ihn an seiner segensreichen Entfaltung hinderten, endlich zu befreien! Und auch die herausragenden Kräfte, die im Bundesrat ihren ebenso schweren wie unterbezahlten Dienst an der Allgemeinheit ableisteten, hatten es verdient, eine größere Bühne zu bekommen. Also nicht mehr Salzamt, sondern Obersalzamt!

Der Bus hatte in der Zwischenzeit den achten Bezirk erreicht. Als Schwaighofer dort ausstieg, wurde er Zeuge eines Polizeieinsatzes, der sein subjektives Sicherheitsgefühl sogleich in lichte Höhen trieb. Da ja heute in der Hofburg der Ball der charakterlich gefestigten und psychisch unauffälligen Leistungsträger stattfand, herrschten nicht nur umfangeiche Platzverbote, sondern in den Bezirken eins bis neun auch ein Vermummungsverbot. Schwaighofer hatte als gesetzestreuer Bürger, der natürlich wusste, dass Grundrechte nur dazu da waren, die Arbeit der Polizei unnötig zu erschweren, trotz Minusgraden auf seinen Schal verzichtet. Und er fand es nur recht und billig, dass vor seinen Augen nunmehr ein frecher Provokateur, der offenbar glaubte, er stehe über dem Gesetz, von sechs Vollvisierwachkörpern beamtshandelt wurde.

Der Mann war mit einem Säbel bewaffnet und trug eine lächerliche bunte Kappe, die so klein geraten war, dass sie nicht einmal sein bescheidenes Hirnvolumen abdecken konnte. Und sein Gesicht war eine von tiefen Schnitten furchtbar entstellte Fratze. Er zeigte sich offenbar überhaupt nicht kooperativ, denn als Schwaighofer vorbeiging, brüllte einer der Polizisten gerade: „Zum letzten Mal: Du nimmst jetzt de schiache Masken obe – oder du schlafst heut auswärts!“

Als Schwaighofer aber dann an seinem Schreibtisch saß und noch einmal kurz all jene Informationen, die an diesem Tag schon auf ihn eingeprasselt waren, Revue passieren ließ, wusste er mit einem Mal nicht mehr, was davon real gewesen war und was nicht. Er nahm sich vor, weniger zu saufen.

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