Rainer Nikowitz: Rechts blinken
Es war ein paar Wochen vor Weihnachten gewesen, als Karl Nehammer eine Erscheinung hatte, die alles veränderte. Nicht vom Christkind, nein. Viel besser als das! Weil, nicht dass der Kanzler keine Wünsche gehabt hätte – aber beim wichtigsten von allen konnte selbst das Christkind nicht helfen. Niemand konnte das. Zumindest dachte Karl das, bevor er die Erscheinung hatte.
Die Stille Nacht war aber insofern von Bedeutung, als Nehammer vor der Erscheinung bei der Weihnachtsfeier der Personenschützergewerkschaft vorbeigeschaut hatte. Eigentlich sollte es nur ein kurzer Anstandsbesuch werden, aber dann war er doch zu dem einen oder anderen Punsch genötigt worden. War ja auch egal, er musste schließlich nicht fahren. Aber der viele Zucker führte dann wohl dazu, dass er in dieser Nacht sehr unruhig schlief. Möglicherweise spielte auch die kurz vorher erfolgte Rückkehr von Mr. Message Control himself, Gerald Fleischmann, in den innersten Machtzirkel eine kleine Rolle. Dieses Wiedersehen war schon aufwühlend auch. Jedenfalls bewegte sich der Kanzler in jener Nacht in einem labilen Dämmerzustand zwischen Schlafen und Wachsein. Es war so etwas wie geistiges Morgengrauen.
Und da war mit einem Mal diese unheimliche Gestalt.
Sie war nur schemenhaft zu erkennen, eine verschwommene, dunkle Silhouette. Schlank und steif stand sie da – und sie flüsterte etwas. Sehr leise zuerst, aber dann immer eindringlicher, bis es der Kanzler endlich verstehen konnte: „Reeechts!“
Aha. Rechts? „Was soll das heißen?“, flüsterte Nehammer zurück. „Bliiinken!“, antwortete die Gestalt. Dann löste sie sich in Wohlgefallen auf.
Was oder wer war das denn bitte gewesen? Und was sollte das heißen: „Rechts blinken“? Und wo fuhr man dann hin? Auf den Pannenstreifen?
In der nächsten Nacht kam die Gestalt wieder. Diesmal hatte der Kanzler zwar keinen Punsch getrunken, aber die Probleme, mit denen die ÖVP-Kernwählerschaft in der heutigen Folge des „Bergdoktor“ fertig werden hatten müssen, hallten noch länger bei ihm nach. Und deshalb schlief er wieder nicht so gut. „Bulgaaarien!“, raunte der nächtliche Gast zwischen Nehammers Bewusstseinsebenen. Und dann: „Hubschrauber!“ Der Kanzler verstand wieder gar nichts. „Wovon redest du? Und wer bist du überhaupt?“ – „Ich bin der, der weiß, wie’s geht! Und du der, der macht, was ich sage! Also: Lass den Karner ein Schengen-Veto gegen Bulgarien und Rumänien aussprechen. Und dann setzt du dich in Bulgarien in einen Hubschrauber und schaust streng auf einen Grenzzaun!“ – „Und dann?“ – „Keine Fragen. Tu es einfach. Ich verspreche dir: Bald wird Milch und Honig fließen!“
Also tat der Kanzler, wie ihm geheißen. Und auch nach den zwar unregelmäßigen, aber doch immer wieder stattfindenden folgenden Besuchen erfüllte er immer brav, was das Drehbuch vorgab. Der Geist, der über ihm schwebte, übte mit Nehammer seine große Zukunftsrede, bis sie endlich klang, als sei sie aus den Achtzigern. „Wiederhole: Die einen arbeiten fürs Geld, und die anderen bekommen es!“ Aber vor allem müsse er immer eines im Kopf behalten: „It’s the migration, stupid. Also vergiss mir bloß nicht auf die Inder!“ Unnötig zu erwähnen, dass ihm der etwas später folgende Sager, mit dem Nehammer überhaupt den größten Erfolg des letzten halben Jahres hatte, auch auf dieselbe Weise zugeflogen war. Man dürfe „nicht die Fehler der 60er- und 70er-Jahre wiederholen, als sogenannte Gastarbeiter geholt wurden, diese dann aber wider Erwarten hierblieben, Integrationsproblem inklusive“.
Huh. Das hatte gesessen. Dabei hatte der Kanzler gegen diese Formulierung sogar noch protestiert. Aber sein guter Geist sagte nur: „Warte auf die nächste Umfrage!“ – „Du meinst, die wird endlich besser?“ – „Ja. Aber vorher müssen noch zwei Dinge erledigt werden: Ihr macht in Niederösterreich eine Koalition mit den Blauen. Und: Du schickst den Mahrer mit einer Kamera auf den Brunnenmarkt.“ – „Und dann?“ – „Lass ihn einfach der Mahrer sein.“
Als endlich wieder eine Sonntagsfrage herandräute, konnte der Kanzler die Spannung kaum ertragen. Aber dann kam sein Moment: Mit einem Mal lag er wieder vor der SPÖ! Nun konnte man zwar mit einigem Recht einwenden, dass das mittlerweile echt keine Kunst mehr war. Aber: Es waren auch nur mehr drei Prozent Abstand zur führenden FPÖ!
„Wie kann ich dir nur danken?“, entfuhr es dem glücklichen Kanzler in jener Nacht sofort. „Ach, gern geschehen!“, sagte die Erscheinung. „Wobei … einen Gefallen kannst du mir doch noch tun: Sag der Edtstadler, sie soll fordern, dass aus Ermittlungsakten nicht mehr zitiert werden darf. Das wäre mir im Sinne der hierzulande echt unterentwickelten Beschuldigtenrechte doch ein Anliegen.“
Und dann wandte er sich zum Gehen, der gute Geist. „Warte!“, rief ihm der Kanzler nach. „Wie geht es weiter? Was soll ich als Nächstes machen?“ – „E-Fuels!“ – „Hä? Warum?“ – „Brumm, brumm geht auch immer.“
Gesagt, getan. Wir sehen uns bei der nächsten Umfrage.