Rainer Nikowitz: Der Richter und sein Henker
Gerichtsdiener: Meine Damen und Herren, die Verhandlung vor dem allerallerobersten Gerichtshof ist hiemit eröffnet. Ich darf Sie darauf hinweisen, dass Ruhe im Saal zu herrschen hat. Ausgenommen hievon sind natürlich spontane, heftige Beifallskundgebungen für den großen Vorsitzenden, den ehrenwerten Allgewaltigen Sebastian Kurz. Ich darf Sie bitten, sich zu erheben.
Kurz: Guten Morgen. Bitte nehmen Sie Platz. Oder warten S’ amal … Wenn i so drüber nachdenk – bleiben S’ doch stehen. Also, was hamma da heut … Ah ja. Der Staat – also ich – gegen die Frau Justitia. Praktischerweise ist ja das Beweisverfahren längst abgeschlossen, wir können also gleich zum Urteil …
Justitia: Äh … darf ich vielleicht etwas sagen?
Kurz: Und schon hamma eine Zusatzstrafe wegen Missachtung des Gerichts! Sie schreiben mir tausend Mal: „Ich soll nicht zurückreden!“
Justitia: Aber man wird sich ja wohl noch verteidigen dürfen!
Kurz: Wozu soll jetzt des wieder gut sein?
Justitia: Das ist doch ein fundamentales Rechtsprinzip! Warum hab ich keinen Anwalt?
Kurz: Den brauchen Sie nicht. Weil, wer nix angstellt hat, der hat ja sowieso nix zu befürchten, net wahr?
Justitia: Das würde ja dann wohl für den Herrn Blümel auch gelten, oder?
Kurz: Und jetzt schreiben Sie mir das gleich noch tausend Mal! Ich sag Ihnen eins: Sie tun sich keinen Gefallen mit Ihrer Aufsässigkeit.
Justitia: Und welches Beweisverfahren wurde bitte abgeschlossen? Ich kann mich nicht erinnern, auch nur einen einzigen Beweis gesehen zu haben.
Kurz: Sagen Sie, was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind? Haben Sie die absolute Mehrheit oder ich? Es wird ja wohl reichen, wenn ich die Beweise sehe.
Justitia: Sie haben auch keine absolute Mehrheit. Sie führen sich nur so auf.
Kurz: So, das geht jetzt aber nimmer lang so weiter. Gerichtsdiener! Bringen S’ mir einen Taser!
Justitia: Und wenn ich mich so umschau: Da ist nicht nur kein Verteidiger. Nicht einmal ein Staatsanwalt ist da!
Kurz: Na ja, grad mit denen hamma in letzter Zeit ein paar Unannehmlichkeiten gehabt. Die haben einfach völlig das Gspür verloren gehabt, was sie dürfen – und was nicht. Drum hamma da was geändert, eine Reform, gell, weil wir sind ja die Reformpartei. Also zumindest in unseren Sonntagsreden. Und jetzt ist das jedenfalls so, dass wir das Amt des Anklägers und das des Richters einfach zusammengelegt haben. Das ist viel praktischer, sag ich Ihnen. Und es spart ja auch total viel Geld, wir wollen ja alle einen schlanken Staat, nicht wahr?
Justitia: Die wichtigste Frage ist auch noch offen: Wessen werde ich denn überhaupt beschuldigt?
Kurz: Na, wenn S’ nicht einmal das wissen, dann wird das mit den mildernden Umständen mit Sicherheit auch nix. Wobei: mildernde Umstände? Was red ich da überhaupt? Ich muss heute irgendwas Liberales geträumt haben, ich bin ja noch ganz verwirrt … Sie haben das schlimmste Verbrechen begangen, das man sich überhaupt vorstellen kann! Unbotmäßigkeit! Insubordination!
Justitia: Ich bin aber unabhängig!
Kurz: Jetzt macht sie es schon wieder! Ja, wo simma denn? Das Recht hat der Politik zu folgen!
Justitia: Der Satz kommt mir irgendwie bekannt vor …
Kurz: Das hat ein großer Staatstheoretiker gesagt, der auch erkannt hat, dass diese komische Gewaltenteilung nicht mehr zeitgemäß ist. Der …
Justitia: Kickl.
Kurz: Ich hätt jetzt Plato gsagt.
Justitia: Das ist aber nicht wahr.
Kurz: Klingt aber besser. Wie auch immer, genug jetzt davon. Sie verplempern da nur meine wertvolle Zeit. Und es ist ja nicht so, dass ich heute nicht noch ein paar anderen Leuten meine Unfehlbarkeit vor Augen führen müsst. Somit ergeht also folgendes Urteil …
Justitia: Ich erhebe Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde!
Kurz: Hä? Was ist jetzt das wieder?
Justitia: Na, Rechtsmittel! Die gehören ja wohl zu einem ordentlichen Verfahren dazu.
Kurz: Da haben Sie aber etwas gründlich falsch verstanden. Rechtsmittel … so ein Blödsinn. Das geht in Wirklichkeit so: Seit unserer Reform ist das Recht Mittel! Und zwar zum Zweck.
Justitia: Zu Ihrem.
Kurz: Alles andere wär ja zwecklos. Und Sie müssen noch etwas bedenken. Das hier ist das alleralleroberste Gericht. Da gibt es dann keine Instanz mehr für die Berufung. Sondern nur noch … Nun ja: Mich in meinem dritten Job.
Justitia: Was wollen Sie mit dieser Kapuze? Sie werden doch nicht …
Kurz: Tut mir leid, aber ich liebe nun einmal öffentliche Hinrichtungen. Vor allem, wenn es um Sie geht!
Justitia: Oh Gott!
Kurz: Na wenigstens kennen Sie meinen vierten Job auch.