Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Sicherheitsnetz

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Der Hautzenberger Ewald hatte sich im Lauf der Jahre eine ganz schöne Expertise auf dem doch manchmal ziemlich komplizierten Feld der Internetrecherche erarbeitet. Obwohl er über keinerlei einschlägige Ausbildung verfügte. Die brauchte er als Sachbearbeiter in der niederösterreichischen Landesregierung ja auch nicht. Das Einzige, was man da beim Parteienverkehr softwaretechnisch dem zu Beamtshandelnden gegenüber anmerken musste, war: „Tut mir leid – der Computer spinnt schon wieder.“

Aber Ewald war wirklich ein gutes Beispiel dafür, wie weit man es mit ein wenig Privatinitiative auf dem Sektor der Erwachsenenbildung bringen konnte. Was man sich mit Engagement und dem entsprechenden Zeitaufwand alles erarbeiten konnte. „Von nichts kommt nichts“, pflegte der Ewald immer zu sagen. Vor allem zu sich selber, denn sonst war ja nie einer da, wenn er wieder einmal unter Beweis stellte, dass er Google wirklich nicht mehr dazu brauchte, um zum Beispiel im Netz jene handverlesenen Milfs aufzuspüren, die überhaupt keinen Genierer mehr kannten.

Aber an diesem Abend geriet die kleine digitale Trutzburg, als die der Hautzenberger sein schon zu einem Viertel abbezahltes Reihenhäuschen in einer der günstigeren Lagen von Wilhelmsburg immer betrachtet hatte, gehörig ins Wanken.

Er war gerade dabei, zu den letzten Geheimnissen von Mandy, dem Dirtiest Housewife von Kansas, wenn nicht überhaupt des gesamten Mittelwestens, vorzudringen, als der Bildschirm plötzlich schwarz wurde. Was war jetzt das? Ein Virus? Oder ein Wackelkontakt? Oder hatten sie am Ende „Milf Filth“ in einem unerhörten Anschlag auf die Medienfreiheit genauso überfallsartig abgedreht wie das griechische Fernsehen? Etwas unwillig machte Ewald auch seine rechte Hand frei und wollte gerade versuchen, seinen Computer ein wenig zu rütteln, als riesige weiße Buchstaben am Schirm erschienen. Völlig entgeistert starrte Ewald auf den Satz: „Weiß deine Frau, was du da tust?”

Er schaute sich gehetzt um. Er war immer noch allein in seinem Mansardenzimmer. Über die Stiege waberte ein Geigenteppich herauf, der Cornwalls Liebreiz in dem Rosamunde-Pilcher-Drama, das sich seine Frau gerade im Fernsehen anschaute, sicher eindrucksvoll unterstrich.
Vielleicht war das ja auch nur so ein blödes Werbe-Pop-up. Und vielleicht würde gleich da stehen: „Und wenn schon! Milf Filth – die Seite für den richtigen Mann!“

Aber vielleicht ja auch nicht.

Ewald entschied sich also, der Sache auf den Grund zu gehen. „Ich habe keine Frau“, tippte er. Sein Zeigefinger zitterte so heftig, dass er die Enter-Taste beinahe verfehlt hätte.

Die Antwort kam prompt. „Und wer sitzt dann im Wohnzimmer und schaut Rosamunde Pilcher? Eine Wiederholung übrigens. Denselben Mist hat sie schon am 22. April 2009 gesehen.“

Ewald spürte, wie sein Kreislauf Granada spielte. Er hatte kaum noch die Kraft, sich die Hose zuzuknöpfen. Aber es erschien ihm im Moment doch einigermaßen dringend geboten. „Wieso weißt du das?“, fragte er dann.
„Honey“, blinkte es ihm entgegen. „Ich weiß auch, dass du bei deiner nächsten Essenbestellung unbedingt die Pommes weglassen solltest, weil deine Herzkranzgefäße das nicht mehr lange aushalten werden. Außerdem ist dein ­Musikgeschmack unter aller Sau. Und du solltest dringend deine Mutter anrufen. Die hat jetzt schon wieder eineinhalb Wochen nichts von dir gehört.“

Ewald fühlte sich so schwach, wie seit der letzten Landesbeamtennulllohnrunde nicht mehr. „Was willst du? Mich erpressen?“, schrieb er.

„Aber nein! Dich beschützen! Das alles ist doch nur zu deinem Besten. Auf dass du ein sonniges Leben in Sicherheit und Freiheit führen kannst. Wobei es diesbezüglich hilfreich wäre, wenn du den Mailkontakt zu diesem Georg Friesinger einstellen könntest.“

Zum Schorschi? Warum zum Schorschi?

„Du denkst dir jetzt sicher: ‚Zum Schorschi? Warum zum Schorschi?‘ Nun, er ist mir mit einem Posting ausgesprochen negativ aufgefallen. Und du willst doch da sicher nicht in irgendwas Unangenehmes mit reingezogen werden, oder Ewald?“

„Was hat er denn gepostet?“

„‚Anna Fenninger sieht viel besser aus als Lindsey Vonn.‘ Da haben Leute schon wegen weniger ein Einreiseverbot ausgefasst.“ Jetzt nahm Ewald all seinen Mut zusammen. „Wer bist du?“

„Was denkst du?“, kam es zurück. Und während der Hautzenberger noch angestrengt nachdachte, schrieb der andere: „Übrigens, das mit deiner Frau war nur ein Scherz. ­So was brauch ich von Zeit zu Zeit. Sie hat ihrer Schwester erzählt, dass es ihr 1000 Mal lieber ist, du siehst dir deine Internetpornos an, als du betatscht sie. Und noch etwas: ‚Milf Filth‘ ist Kinderkram. Versuch doch mal ‚Boob Attack!‘ See you, Barack.“

Jetzt war Ewalds Welt zum Glück wieder in Ordnung. Und er murmelte erleichtert diesen wahnsinnig klugen, ewig gültigen Satz: „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.“

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