profil-Kolumnist Rainer Nikowitz
Satire

Rainer Nikowitz: Sprechstunden

Die peinlichen ÖVP-Chats haben Folgen. Nicht für den Postenschacher. Wo denken Sie hin? Nein, die Türkisen kommunizieren jetzt anders. Total abhörsicher!

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Der Kanzler hatte eigentlich nichts gegen Klaudia Tanner. Ja, er war das. Aber das hieß noch lange nicht, dass er sie unbedingt jeden Tag sehen musste - und dann meistens auch noch gleich mehrmals. Aber das war wohl der Preis, den das neue Kommunizieren forderte, jetzt, da man Handys nicht mehr guten Gewissens verwenden konnte. Weil man ja leider davon ausgehen musste, dass jederzeit wieder irgendeines beschlagnahmt werden konnte – wie das bei so richtig sauberen Familien halt nun einmal quasi gewohnheitsmäßig so war. Und dass dann plötzlich wieder unschuldige Geheimnisse des neuen Regierens brutal ans Licht einer widerlich geifernden Öffentlichkeit gezerrt wurden. Also hatten die Türkisen intern auf eine völlig abhörsichere Methode umgestellt. Und es hätte diesbezüglich zwar eine Alternative zur leicht unterbeschäftigten Heeresministerin gegeben, die in der Zwischenzeit ja jeder kannte, außer Airbus – aber so richtig prickelnd hatte der Kanzler die Idee, Christine Aschbacher könnte im zweiten Bildungsweg eine Karriere als sprechendes und singendes SMS beginnen, auch nicht gefunden. Sie wäre zwar auch durchaus steuerbar gewesen, aber erstens wusste man nie, ob sie einem nicht vielleicht eine Botschaft überbrachte, die eigentlich jemand anderem gehörte. Und zweitens war die verhaltensoriginelle Klaudia auch vom Wesen her einfach besser geeignet, denn die schämte sich ja für nichts. 

Jetzt gerade tanzte sie ihm zum Beispiel eine SMS von Thomas Schmid vor. Als Charleston. Schmid war ja nicht nur der mit Abstand am besten qualifizierte ÖBAG-Chef unter allen Bewerbern gewesen, die sich die Ausschreibung für diesen Job selbst zusammenschustern hatten dürfen, sondern er war auch berühmt-berüchtigt für seine beschwingte Ausgelassenheit, wenn ihn einmal wieder das Pulver juckte – und dementsprechend sahen seine Botschaften meist auch aus. Der Text, den Tanner auftragsgemäß zu ihrem Tanz zu schmettern hatte, war nämlich dieser: „Mach dir nichts draus – wenn unsere Liebe jetzt bekannt – uns bleibt immer noch Serfaus – oder sonst was am Land!“ 

Die gereimte Form, die Schmid jetzt oft benützte, um das Live-Erlebnis noch schöner werden zu lassen, noch dazu in diesem Rhythmus gesungen, war durchaus eine Herausforderung, selbst für die Heeresministerin, die sich nicht davor scheute, dorthin zu gehen, wo es wehtat. Wenigstens hatte sich Schmid auf mehr als dringendes Ersuchen des Kanzlers mittlerweile zumindest die küssenden Emojis in seinen Botschaften abgewöhnt. Und zwar keine Sekunde zu früh, angesichts des unbändigen Ehrgeizes von Tanner, wenigstens diesen Regierungsjob perfekt zu erledigen - wenn schon keinen anderen. 

„Ich liebe dich bis zum Mond und zurück – oh Kanzler, nur du bist mein Glück!“, flötete sie jetzt endlich zum Abschluss - und wartete dann, rotwangig und bebend. Erstens natürlich auf Lob vom großen Vorsitzenden für die nicht nur prompt, sondern vor allem mit viel Herzblut überbrachte Message – Frau durfte schließlich im türkisen Machtgefüge noch Frau bleiben und sich also in ihrer dienenden Rolle ungestört wohlfühlen. Und zweitens wartete sie auf eine Antwort. Der Kanzler musste allerdings einräumen, dass er via tanzender Tanner irgendwie nicht mehr so unbeschwert kommunizierte wie in früheren, nicht staatsanwaltschaftlich verseuchten Zeiten via Handy. „Kriegst eh alles, was du willst!“, klang ja durch Klaudias Mund möglicherweise gleich ganz anders. Aber man konnte nicht alles haben, Sicherheit ging nun einmal vor.

„Äh … Also gut: Ich liebe dich auch. Und nicht, dass du mir mit einem anderen Kanzler fremdgehst!“ Ihre Lippenbewegungen verrieten, dass Tanner alles stumm memorierte, um es sich auch wirklich einzuprägen. „Aber sei so gut und halt dich jetzt eine Weile bedeckt, Süßer. Wir hatten genug Schlagzeilen!“ Die Ministerin nickte beflissen. „Und welche Melodie hättest du gern?“, antwortete sie dann. „Vielleicht mehr was Langsames? So Richtung Slow Fox?“ Sebastian zuckte nur mit den Schultern. In der schier unüberblickbaren Menge seiner Stärken war das möglicherweise eine der zurückhaltenderen. Er wusste schlicht nicht, was ein Slox Fox war. Aber Klaudia konnte es ihm ohnehin zeigen – hatte sie doch heute noch eine zweite Nachricht zu überbringen. Sie deutete dem Kanzler, er solle zuhören, schloss die Augen, begann sich sanft hin- und herzuwiegen – und dann zu singen: 

Ich hab alles vergessen, nur dich nicht, 
bin auf dich voll versessen, ich Wicht, ich
und auch wenn alle schreien: Postenschacher
pfeif ich drauf, weil du bist mein Macher
und ich hoffe, dass du hältst an mir fest
weil ich fürcht mich so vorm AMS-Test!

Es war weniger, weil Tanner so schön gesungen hätte, dass es dem Kanzler eine Träne aus dem Augenwinkel trieb. Aber Gernots flehentliche Bitten erwärmten einfach immer sein Herz. Gut, dass sie diesmal sonst keiner hörte. 

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz