Rainer Nikowitz: Verbieten! Alles!
Jetzt sind diese vermaledeiten Rammstein-Konzerte in Wien immer noch nicht abgesagt worden. Und das ist ein Skandal, weil schließlich verlangen das die grünen Frauen. Wenn ihnen dieser Coup doch noch gelänge, wäre das vermutlich das Leuchtturmprojekt der grünen Regierungsbeteiligung schlechthin, etwas noch Wichtigeres wird sich, wie man die Grünen kennt, in dieser Legislaturperiode nicht mehr ereignen.
Die grünen Frauen folgen hier mit ihrem revolutionären Politikansatz dem Vorbild einer der vier Säulenheiligen ihrer Bewegung. Und das ist – neben Rosa Parks, Pippi Langstrumpf und Hildegard von Bingen – selbstverständlich: Hans-Jörg Schimanek.
Schimaneks Platz auf diesem Podest mag auf den ersten Blick verwundern, war der doch einst Landesrat in Niederösterreich für die verfemte FPÖ. Und ein Mann noch dazu. Aber die Grünen mussten ihm zugestehen: Es war nicht alles schlecht. Denn mit seinem legendären Satz: „Wir wollen das, äh, weg!“, mit dem er 1998 seine Forderung nach einem Verbot des Orgien- und Mysterientheaters von Hermann Nitsch vorbrachte, darf Schimanek schließlich mit Fug und Recht als Erfinder der Cancel Culture in Österreich angesehen werden. Und Hand aufs Herz: Wo wäre heutzutage der Linksliberalismus in seiner allermodernsten Ausformung ohne die dauernde Forderung nach Verboten? Vor allem in der Kultur. Weil, die ist halt so unübersichtlich, bei der weiß man auch als total progressiver Mensch oft nicht, ob sich in ihr nicht irgendetwas Aufwühlendes oder Grenzgängerisches oder gar Abgründiges versteckt. Und auf diese Herausforderung kann fortschrittliche Politik natürlich nur eine Antwort geben: Besser einmal zu viel verbieten – als einmal zu wenig.
Man braucht aber als verantwortungsvolle(r) Politiker(in) aber natürlich auch ein klares Regelwerk zur Beurteilung, ob das gemeine Volk etwas sehen sollen darf oder nicht. Etwas im besten Falle Allgemeingültiges. Man will sich die Entscheidung ja nicht leicht machen. Hier hat es sich bewährt, einfach auf den eigenen moralischen Kompass zurückzugreifen, das ist sehr praktisch, weil den hat man immer bei sich und gerade heutzutage stets blitzschnell zur Hand. Und dass er selbstverständlich Allgemeingültigkeit hat, wird ja wohl hoffentlich niemand ernsthaft bestreiten wollen.
„Die vernünftigen Prohibitionist:innen müssen sich zusammentun. Also etwa Meri Disoski und Dominik Nepp.“
Als alter weißer Mann, der sich bemüht, mit der Zeit zu gehen, begrüße ich natürlich sämtliche Initiativen für Verbote. Ich muss zwar einräumen, als Boomer – also als Angehöriger einer in jeder Hinsicht verlorenen Generation – in meiner törichten Boomer-Jugend einer hoffnungslos altmodischen, aber nunmehr durch die mit der Gnade der späten Geburt Gesegneten endlich glücklich entsorgten Version von Linksliberalismus nachhing. Dieser Verirrung in der linken Ideengeschichte zufolge hatte einst jeglicher Politiker, der Menschen etwas verbieten wollte, besser einen verdammt guten Grund dafür vorzubringen. Und nicht bloß ein Gefühl, dessen Aufwallung mit Empörung kundgetan wird. Hier wurde die Beweislast also entscheidend erleichtert und das ist nur zu begrüßen. Und mittlerweile finde auch ich, dass generell schon viel zu lang viel zu viel erlaubt wurde und also jetzt viel mehr verboten gehört. Das brauchen die einfachen Leute auch als Gerüst, da darf verantwortungsvolle Politik nicht wegschauen. Und dass es für diese Lieblingsdisziplin grüner Frauen immer noch nur den Namen „Paternalismus“ gibt, ist ein weiteres bitteres Zeichen dafür, wie beinhart das Patriarchat unser Land noch immer im Doppelnelson hat.
Eines muss man allerdings mit einiger Ernüchterung auch konstatieren: Die geforderten Verbote werden leider nicht immer in die Tat umgesetzt. Das Orgien- und Mysterientheater durfte damals stattfinden und ebenso scheint jetzt bei Rammstein dem gesunden Volksempfinden nicht Folge geleistet zu werden. Und kommen Sie mir jetzt nicht damit, dass es da halt strafrechtlich nichts gibt. Auf das Strafrecht ist da leider kein Verlass, das ist irgendwie so unbeweglich, mit Beweisen und dem ganzen Zinnober. Da sind wir mit unseren Fackeln und Mistgabeln nun wirklich schon viel weiter.
Jedenfalls kann die Lösung nur lauten: Man muss auf dem Verbotssektor Sach-Koalitionen schließen, über Partei- und sonstige Ideologiegrenzen hinweg. Die vernünftigen Prohibitionist:innen auf beiden Seiten müssen endlich zusammenfinden, sonst bringen wir da nie was weiter. Also könnte sich die grüne Frauensprecherin Meri Disoski, die an schweren Rammstein-Phantomschmerzen leidet, doch mit Dominik Nepp zusammentun, dem vielleicht demnächst wieder eine Drag-Queen-Lesung schweres Unbehagen bereitet. Nach dem Motto: „Verbiet mir meins - und ich verbiet dir deins!“ könnte da wirklich Großes entstehen. Die jeweiligen Parteibasen würden sich zwar zuerst die Augen reiben - aber wenn dann als Konsequenz endlich einmal gar nichts mehr stattfindet, weil immer irgendwer was dagegen hat, dann werden sicher endlich alle glücklich sein.
Oder?