Satire

Rainer Nikowitz: Wahlwaise

Wir – und andere westliche Wahlvölker – stehen heuer vor schwerwiegenden Entscheidungen. Gut, dass wir dafür so eminent gewappnet sind.

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Die Lage der Welt ist ja im Moment leider recht unübersichtlich. Bei TikTok überlegen sie darob angeblich schon, die diesbezüglichen Erklärvideos generell um fünf Sekunden zu verlängern, also beinhart an die Grenze des gerade noch Aushaltbaren zu gehen, damit sich auch wirklich alles ausgeht, was der mündige Bürger heutzutage so wissen muss. Aber andererseits kennen sich ja selbst die professionellen Auguren nicht mehr so recht aus und unken meist nur einigermaßen düster vor sich hin. Da kann es nicht schaden, einmal mit den Gewissheiten zu beginnen, die schon vor den eigentlichen Wahlgängen bestehen – aber selbst von Großkommentatoren gerne übersehen werden.

So kann man eines eigentlich so gut wie nie lesen, obwohl es doch glasklar auf der Hand liegt: Der große Sieger bei den beiden Wahlgängen, die heuer im Nabel der unübersichtlichen Welt, also in unserer ebenso schönen wie seligen Heimat stattfinden werden, steht jetzt schon fest. Es ist natürlich die ÖVP. Denn sie hat zum einen ihr wichtigstes Wahlziel bei den EU-Wahlen am 9. Juni schon jetzt erreicht: Othmar Karas tritt nicht mehr an. Alles andere, das am Wahltag auf diesen Triumph noch folgen mag, ist also bestenfalls eine Zuwaage. Für die dann auch folgerichtig niemand so wirklich sein Gewicht in die Schale werfen will. Nicht Volkstribun und Stimmenmagnet Alexander Schallenberg, der Außenminister bleiben will, auch nicht die Salzburger Maggie Thatcher, Karoline Edtstadler, die ja von Brüssel aus schlecht ÖVP-Chefin sein könnte.

Im Moment scheint alles auf Reinhold Lopatka als Spitzenkandidaten hinauszulaufen, dem kann das zu erwartende deutlich zweistellige Minus im Vergleich zur letzten EU-Wahl schließlich egal sein, parkt er doch ohnehin schon länger am Abstellgleis. Und vielleicht schafft er es ja sogar wieder, seine größte Stärke auszuspielen – und das Wahlergebnis im Nachhinein noch zugunsten der ÖVP zu korrigieren. Das hat er schließlich schon in seiner Zeit als Klubobmann im Nationalrat eindrucksvoll hingekriegt, als er zwischen 2015 und 2017 gleich vier Abgeordnete des Teams Stronach und einen der NEOS kaperte und solcherart die Zahl der schwarzen Mandate um zehn Prozent nach oben schraubte.

Aber auch bei der Nationalratswahl, die planmäßig Ende September stattfinden sollte, sofern nicht noch gefinkelte taktische Überlegungen zu einem Termin im Mai, also noch vor der EU-Wahl, führen, steht die ÖVP eigentlich jetzt schon als Sieger fest. Schließlich kann sie auf eine Gewissheit bauen, die keine andere Partei hat: Sie wird, wie schon in den vergangenen 37 Jahren, in jedem Fall auch diesmal wieder der Regierung angehören, in welcher Konstellation und Position auch immer. Denn die von Rot/Grün unter als selbstverständlich angenommener Eingemeindung der NEOS herbeigeträumte Ampel wird es, spätestens nach den spektakulären Erfolgen, die selbige bei den deutschen Nachbarn gerade feiert, nicht spielen. Ein Schicksal, das dieser Traum leider mit vielen anderen im linken Spektrum, die ebenso chronisch an dieser vermaledeiten Realität zerschellen, gemein hat.

Da passt es auch gut ins Bild, dass die SPÖ den wahren Gegner längst identifiziert hat und sich nicht etwa dem Kampf um Platz 1 gegen die FPÖ widmet, sondern mit freudiger Unterstützung derselben inbrünstig und ausschließlich am Wadl der ÖVP kaut. Wer braucht schon die rechten Wähler zurück, die einst zu den von Andreas Babler so gerne zitierten „unsere Leut“ gehörten und nach einem Zwischenstopp bei Sebastian Kurz bei der FPÖ gelandet sind – wenn man doch die richtigen hat? Unter diesen Voraussetzungen wird sicher auch die Koalitionsfrage unter den beiden einstigen Großparteien leicht zu klären sein. Und da sind die Vorstellungen des dritten Partners, der auch bei der rotschwarzen Variante gebraucht wird, noch gar nicht eingepreist. Das wird alles noch recht lustig werden – zumindest, sofern man über einen sehr speziellen Humor verfügt.

Aber den wird man ohnehin flächendeckend benötigen, wenn nämlich auch die US-Präsidentenwahl so ausgehen sollte, wie es zumindest nach derzeitigem Umfragestand herandräut. Donald Trump wird zwar mit Sicherheit nicht die Mehrheit der gesamtamerikanischen Stimmen erreichen. Aber aufgrund des klugen Wahlsystems in den USA könnte ihm eine zumindest teilalphabetisierte Mehrheit von wenigen tausend Stimmen in den Swing States im Rust Belt schon reichen, um – auch – unsere Welt in Europa nachhaltig zu verändern. Zum deutlich besseren selbstverständlich, denn schlechter kann es, wenn man sich so umhört, ja keinesfalls mehr werden.

Ach so, ja. In Russland finden im März ja auch Präsidentschaftswahlen statt. Auch hier ist der Ausgang noch vollkommen ungewiss, niemand kann seriös einschätzen, ob Wladimir Putin nun nur 105 oder doch 110 Prozent der Stimmen bekommen wird. Für Spannung ist also in jedem Fall gesorgt!

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz