Wolfgang von Österreich
Der Herr Präsident geruhten, maximal indigniert zu sein. Zum einen natürlich ob dieser unglaublich pietätlosen Störung der Totenruhe, begangen von einem verdeckten Schnüffler der ruchlosen Opposition im unseligen Verein mit einer in solchen unappetitlichen Angelegenheiten stets willfährigen Journaille. Einfach ein Tonband abspielen, auf dem die Stimme eines Verstorbenen zu hören war – war das zu fassen? Caruso, Lennon und Prince würden sich nachträglich schön bedanken, wenn das Schule machte.
Aber noch viel indignierter war Wolfgang Sobotka natürlich über die Tatsache, dass es da draußen – oder von ihm aus gesehen vielmehr: da unten – schon wieder einmal ein paar Knilche gab, die sich ernsthaft anmaßten, ihn zu kritisieren. Die sich renitent weigerten, brav in dem Takt zu wippen, den er, der Leonard Bernstein aus ganz Waidhofen und Umgebung, vorgab. Wieder einmal rieben sich Säue an der Mostviertler Eiche – und das nur, weil sie ihm diese eine, diese zutiefst österreichische Eigenschaft neidig waren, die aus ihm einen dermaßen erfolgreichen Politiker gemacht hatte: dass er durchaus gern einmal fünf gerade sein ließ.
Van der Bellen nahmen ja nicht einmal mehr die Hunde ernst.
Und dies tat er ja beileibe nicht erst, seit seine solide Grundausbildung am „Erwin-Pröll-Institut für die angewandte Verniederösterreicherung der ÖVP“ dafür gesorgt hatte, dass er auf den Sessel des Ersten Nationalratspräsidenten geweht worden war. Und damit ein Amt bekommen hatte, mit dem er sein großes Vorbild eigentlich sogar noch überflügelt hatte. Denn es mochte zwar durchaus so gewesen sein, dass einst so manche Wachauer Goldhaubenfrau mit weichen Knien nach dem Riechsalz rufen musste, wenn der Erwin das Rednerpult erklomm. Aber trotzdem war der Pröll nur Kaiser von Niederösterreich gewesen. Wolfgang hingegen war es von ganz Österreich!
Also zumindest fühlte es sich für ihn so an. Denn dass sein Amt formal nur das zweithöchste im Staate sein sollte, das war zum Beispiel auch so eine Sache, bei der es der Wolfgang, jovial, wie er nun einmal war, nicht so furchtbar genau nahm. Klar, da war noch Van der Bellen. Aber den nahmen ja nicht einmal mehr die Hunde ernst. Und außerdem: Seit der olle Pröll in Rente war, gab es oberhalb vom Sobotka Wolfgang ohnehin noch maximal den richtigen Godfather. Den im Himmel. Und selbst der musste manchmal Abstriche machen.
Die Worte „freiwillig“ und „gehen“ kamen bei einem, der im Stahlbad von Radlbrunn Politik gelernt hatte, im selben Satz ausschließlich gemeinsam mit „Wirtshaus“ vor.
Zu diesem von ohnehin unangebrachten Zweifeln völlig unangekränkelten Selbstbild trug natürlich auch noch positiv bei, dass die Altvorderen damals beim Verfassen der Verfassung eher nicht mit einem wie Sobotka gerechnet hatten. Denn dankenswerterweise sah selbige keine Möglichkeit vor, den wilden Wolfgang aus Waidhofen auch wieder auf demokratischem Wege von seinem Sitz wegzubekommen, falls es einmal irgendwie geboten erscheinen sollte. Wie zum Beispiel: jetzt. Aber nein, Wolfgang konnte maximal freiwillig gehen. Und die Worte „freiwillig“ und „gehen“ kamen bei einem, der im Stahlbad von Radlbrunn Politik gelernt hatte, im selben Satz ausschließlich gemeinsam mit „Wirtshaus“ vor.
Außerdem: Warum hätte Wolfgang denn überhaupt zurücktreten sollen? Er war ehrlich fassungslos angesichts solcher gemeinen Forderungen, denn es gab nun wirklich nicht den geringsten Anlass dazu. Es war doch wohl nur allzu menschlich, dass man sich, wenn man schon aufgrund göttlicher Vorsehung glücklicherweise in solch höchste Sphären befördert worden war wie er, berufen fühlte, sich um quasi alles zu kümmern – streng zum Wohle aller natürlich. Wie konnte man also sein Bemühen um eine bürgernähere, weniger akademische Justiz, um eine, die mit beiden Beinen fest in der österreichischen Realverfassung stand, nachträglich dermaßen besudeln? Was bitte war an „Mir wern scho kan Richter brauchen!“ auf einmal schlecht?
Zum Glück wäre die ÖVP nicht die ÖVP, wenn sie nicht in dieser unerfreulichen Situation wie gewöhnlich die Zeichen der Zeit nicht nur messerscharf erkannt, sondern auch blitzschnell die richtigen Schlüsse daraus gezogen hätte. Und sich also vom Bundeskanzler abwärts geschlossen schützend vor ihren Wolfgang geworfen hätte. Dazu pendelten Beobachter angesichts der nicht mehr allzu fernen Wahl und der im Verhältnis dazu nicht allzu blendenden Umfragewerte der ÖVP zwischen zwei möglichen Interpretationen. Die erste lautete: „A scho wurscht!“ Und die zweite verwies in ein geheimnisvolles türkises Paralleluniversum, in der ein Gutsherrenpolitiker ganz alten Schlags auf geheimnisvolle Weise nicht nur den Bundeskanzler nicht beschädigt, sondern darüber hinaus sogar noch zum Stimmenmagneten wird.
Welcher Version Wolfgang selbst anhing, war kein großes Geheimnis, er sah sich selbstredend durchaus dazu befähigt, zum positiven wahlentscheidenden Faktor werden zu können. Außer vielleicht, die SPÖ ginge zum Äußersten und böte doch noch einmal Josef Cap auf. Und die Grünen Ulrike Lunacek. Von Hilmar Kabas ganz zu schweigen. Aber da wären die Karten ja dann überhaupt gänzlich neu gemischt.