Rainer Nikowitz: Wortglauberei
Vor einem Jahr stand an dieser Stelle eine Vorschau auf das Jahr 2015. Sie trug den Titel: „Alles wird gut!“ Mittlerweile steht also fest: Klarer Fall von Lügenpresse. Wobei die gewöhnlich Wohlinformierten das sicherlich ohnehin schon damals gewusst haben.
In Polen, einem jener Staaten, angesichts derer sich die Freude, sie in die EU geholt zu haben, langsam, aber sicher der Ausuferung nähert, hat man jetzt eine sehr viel versprechende Methode entwickelt, solche Umtriebe abzustellen. Dort werden Exzesse der Pressefreiheit nämlich neuerdings per Exorzismus geahndet. Jüngst fand sich in Warschau ein geifernder Priester in Begleitung anderer freiwillig Lobotomierter vor der Redaktion der „Gazeta Wyborcza“ ein, um dem Schmierblatt seine nicht ausreichend euphorische Berichterstattung über die neue nationalkonservative Regierung des grundsympathischen Götterboten Jaroslaw Kaczynski rituell auszutreiben.
Nun könnte man einwenden, dass das so wild auch wieder nicht ist, wo doch heutzutage jedes durchschnittliche Internetforum von zwar nicht religiös verbrämter, aber ansonsten mindestens ebenso inquisitorischer Schwarmintelligenzbefreiung getragen wird. Doch leider verhallt ja dort manch konstruktive Kritik ungehört in den anonymen Weiten des Netzes, weshalb es klarerweise wesentlich effektiver ist, sie persönlich vorbeizubringen. Und so ein kuscheliger kleiner Exorzismus verkommt ja quasi zu einem Hostienpicknick auf blühender Frühlingswiese, wenn man in Betracht zieht, dass Besitzer der anderen, einst in der flirrenden Wüstenhitze des Näheren Ostens vom Himmel herabdelirierten unumstößlichen religiösen Wahrheit zunehmend dazu neigen, bei ihrem Höflichkeitsbesuch ihre halbautomatische Penisverlängerung mitzubringen – und gleich der das argumentative Dauerfeuer zu überlassen.
Wenn sich ein gläubiger Christ und ein ebenso gläubiger Muslim gegenüberstehen, bedarf es keiner elendslangen Wahrscheinlichkeitsrechnung, um zu dem Schluss zu kommen, dass leider mindestens einem von ihnen ein gröberer Irrtum unterlaufen sein muss.
War das jetzt schon eine Herabwürdigung religiöser Lehren? § 188 Strafgesetzbuch? Nicht in unserer befreundeten Wohlfühloase Saudi-Arabien, nein, dort ist ja von Gesetzes wegen Atheist konsequenterweise gleich Terrorist – aber auch im total aufgeklärten Österreich muss Strafe schon sein, wenn man Sensibelchen jedweder anerkannten Religionsgemeinschaft zu sehr ärgert. Bis zu sechs Monate nämlich, je nach Blasphemiegrad. Nun ja. Wenn sich ein gläubiger Christ und ein ebenso gläubiger Muslim gegenüberstehen, bedarf es keiner elendslangen Wahrscheinlichkeitsrechnung, um zu dem Schluss zu kommen, dass leider mindestens einem von ihnen ein gröberer Irrtum unterlaufen sein muss. Da liegt es natürlich auf der Hand, dass beide ganz dringend strafgesetzlichen Schutzes vor ruchlos herabwürdigenden Ungläubigen bedürfen.
Wenn Douglas Adams’ Vogonen spitzkriegen sollten, dass es 2000 Jahre nach Christus und 1400 Jahre nach Mohammed im derzeit größten globalen Konflikt innerhalb einer Spezies, die seitdem immerhin gelernt hat, Atome zu spalten, Gene zu manipulieren und Salzburger Nockerl zu backen, die nicht zusammenfallen, tatsächlich darum geht, welches Märchen aus „1001 Nacht“ das coolere ist, dann brauchen die gar keine galaktische Hyperraum-Expressroute als Grund, um die Erde beiseite zu räumen. Dann wird es einfach zu einer Frage der interstellaren Psychohygiene, uns zu einem pflegeleichten Staubnebel zu verarbeiten.
Natürlich, es gibt da einen entscheidenden Unterschied. Wenn Kardinal Schönborn zum Beispiel im Wissen, dass er beim Versuch der Widerlegung der Evolutionstheorie eher in Erklärungsnotstand geraten würde, diese wortreich zu einigermaßen schöpfungskompatiblem „Intelligent Design“ umdeutet, dann lachen ihn in der westlichen Welt außer einigen Polen, Süditalienern und amerikanischen Bible-Belt-Borderlinern alle aus. Das weiß er natürlich auch. Aber es würde ihm trotzdem nie einfallen, deshalb eine Fatwa zu erlassen. Zumindest nicht, solange Toni Faber gern gesehener Gast bei jedem Gratisbuffet bleibt.
Ließe man die katholische Kirche, wie sie wollte – und wie sie früher schon jahrhundertelang tätig gewollt hat –, dann wäre auch sie ein Problem. Aber der Zug ist ja wohl abgefahren. „Pray for Paris“ ist ärgerliches, aber ansonsten nur hohles Facebook-Pathos, und wenn HC Strache dem Viktor-Adler-Markt wieder einmal mit dem Kruzifix zuwinkt, dann ist das bloß armselig – und nicht einmal unter FPÖ-Hardcorefans dazu geeignet, den Kreuzritter-Kettenhemdabsatz explodieren zu lassen. Aber nicht zuletzt deshalb ist es in der Debatte um das herbe Imageproblem, das sich der Islam eingehandelt hat, wichtig, den Begriff „Religionsfreiheit“ auch in dessen Richtung in seiner anderen möglichen Bedeutung zu verstehen: nicht nur als Freiheit der Religion, sondern als Freiheit von Religion. Die Altvorderen haben für uns erkämpft, dass wir nicht mehr mit den Fieberfantasien der Bibel drangsaliert werden. Und jetzt ist eben der Koran dran. Gleiches Recht für alle.
Ich fordere also hiemit, dass das Jahr 2016 offiziell zum Jahr der Ungläubigkeit erklärt wird.
So ist es etwa weder „unmenschlich“ noch „Aufhetzung“, wie IGGiÖ-Präsident Fuat Sanaç wehklagt, wenn man jetzt bei den zuletzt viel diskutierten islamischen Kindergärten in Wien genauer hinschaut. Es hat schon zu lange geklappt, jedes Argument sofort mit der „Islamophobie!“-Fliegenklatsche zu Brei zu schlagen und die Diskussion damit für beendet zu erklären. Vor allem die links-grüne Unterstützung war hier sehr hilfreich. Wobei die dialektischen Verrenkungen, die diese erfordert, dem Chiropraktiker-Gewerbe innerhalb des Wiener Gürtels eigentlich zu ungeahnter Hochblüte verhelfen müssten. Während beispielsweise ansonsten bei jedem verweigerten Binnen-I gleich nach dem Riechsalz gerufen wird, werden Frauenrechte in Bezug auf den Islam mit einem Mal wieder zur Verhandlungsmasse. Und einige andere gleich mit. Als problematisch an der Burka wird allenfalls noch wahrgenommen, wenn sie möglicherweise aus Kunstfaser mit einem wirklich verheerenden CO2-Abdruck hergestellt wurde.
Ja, Europa rückt leider nach rechts. Ungarn, Polen, auch Dänemark oder Finnland. Die Vorstellung, dass Marine Le Pen 2017 im Élysée-Palast in Paris sitzt, ist grauenvoll, aber nicht mehr abwegig. Ebenso wenig wie ein Bundeskanzler Strache – sofern ihm Herbert Kickl 2018 rechtzeitig den Ausgang aus jenem Kornkreis zeigt, den er zuvor wochenlang und mit wachsender Verzweiflung wissenschaftlich erforscht hat. Aber das verhindern zu wollen, indem man sich mit gefletschten Zähnen schützend vor die nicht minder rechten gesellschaftspolitischen Vorstellungen wirft, die ein ernsthaft gelebter Islam mit sich bringt – weil ja schließlich jede Minderheit, die nicht bei drei auf dem Baum ist, dringend für sakrosankt erklärt werden muss –, ist eine sehr interessante Taktik. Und, wie man anhand sämtlicher Umfragen auf einen Blick überprüfen kann, auch total zielführend.
Ich fordere also hiemit, dass das Jahr 2016 offiziell zum Jahr der Ungläubigkeit erklärt wird. Kein „Pray for Paris!“, sondern ein „Stop praying – start thinking!“ Und ich will einen § 188 a im Strafgesetzbuch, in dem sichergestellt wird, dass kein eifriger Frömmler, gleich welcher Ausrichtung, meine atheistischen Gefühle verletzen darf. Ich bin da nämlich auch wahnsinnig sensibel.