Riskanter Wahlkampfpoker von ÖVP und SPÖ
Nur noch sechs Wochen. Dann findet eine Wahl statt, für die der Begriff Zeitenwende ausnahmsweise nicht übertrieben ist. Greift doch erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik die FPÖ danach, ihre Dauer-Poleposition in Umfragen in Platz 1 bei einer Nationalratswahl umzuwandeln. Viele hatten für den Ausnahme-Urnengang Hochspannung erwartet und damit gerechnet, dass sich die bisherigen Nummer-1-Parteien ÖVP und SPÖ mit aller Kraft gegen das Absacken stemmen. Mehr noch: dass Karl Nehammer und Andreas Babler mit fundierten Programmen und mitreißenden Plänen das Kanzler-Match bestreiten und so beweisen, warum sie die besseren Regierungschefs als Herbert Kickl sind. So weit die Theorie zu Beginn des Superwahljahrs.
Doch: glatte Fehlanzeige. Die Praxis verläuft wesentlich unspektakulärer. Der Wahlkampf dümpelt merkwürdig unaufgeregt, manchmal fast lustlos dahin. Weder ÖVP (will unbedingt im Kanzleramt bleiben) noch SPÖ (will genauso unbedingt wieder regieren) gelingt es wirklich, mit großen Themen aufzuwarten oder eigene Schwerpunkte zu setzen.
So mutiert nach der Absage der Taylor-Swift-Konzerte und nach hitzigen Debatten über 4600 Euro Sozialhilfe für eine syrische Großfamilie in Wien das Bündel aus Asyl und Anti-Terror-Kampf zum ersten großen Wahlkampf-Schwerpunkt. Ein riskantes Manöver.
Für die SPÖ, weil sie sich seit Jahrzehnten nicht zu einer einheitlichen Linie beim für sie heiklen Themenkomplex aufraffen kann und sich verlässlich innerparteiliche Quer-Redner finden. Auch diesmal preschen Landespolitiker mit Ideen für Verbotsgesetze und Härteregeln vor, Geschlossenheit sieht anders aus. Die Nervosität ist spürbar, kein Wunder: Die schwierige Frage, wie hoch die soziale Unterstützung für Flüchtlinge, die nicht arbeiten, ausfallen soll, trifft die Arbeiter-Partei ins Mark. Manch schnoddrige Bemerkung aus der Wiener SPÖ macht die Gemengelage nicht besser, im Gegenteil.
Für die ÖVP, weil Sicherheit zwar zu ihrem Markenkern gehört – der türkise Wahlkampfschlager „Law and Border“ aber mittlerweile in eine Sackgasse führt. Balkanroute schließen, politischen Islam bekämpfen: Diese Forderungen, energisch und in Dauerschleife vorgetragen, waren in den Wahlkämpfen 2017 und 2019 Bausteine für den Erfolg von Sebastian Kurz und mitverantwortlich dafür, dass die ÖVP der FPÖ Hunderttausende Stimmen abluchsen konnte. Selbst der größte Sommerhit nützt sich ab und kann nicht ständig gespielt werden.
Damit gerät in Vergessenheit, dass die Blauen die Unsicherheits-Partei Nummer 1 darstellen, unter deren Mitregierung Geheimdienste zerstört wurden.
Es klingt ein wenig schal, wenn die ÖVP im Jahr 2024 erneut vehement fordert, den politischen Islam zu bekämpfen. Immerhin stellt sie seit sieben Jahren den Kanzler und seit 24 Jahren (mit kurzer Unterbrechung durch Herbert Kickl) den Innenminister. Dasselbe gilt für die ÖVP-Wünsche nach Extremismusprävention und Deradikalisierung: Gewiss
vernünftig, alles zu versuchen, Hass und Radikalismus im Ansatz zu bekämpfen – aber an wen genau richtet sich die Forderung? An die ÖVP-Integrationsministerin, an den ÖVP-Innenminister oder an den ÖVP-Bildungsminister? Sie hätten es in der Hand gehabt, aus plakativen Parolen fundierte Programme zu machen.
Betonung auf: fundiert. Fraglos sind gesetzliche Härte und moderne Überwachungsmethoden im Kampf gegen Terrorismus wichtige Instrumente, aber: Hektischer Sofortismus und schiere Effekthascherei führen selten zum Ziel. Nach dem Terrorakt im November 2020 wurde etwa hurtig der Paragraf 247 b Strafgesetz gegen „religiös motivierte extremistische Verbindungen“ geschaffen und als „Meilenstein im Kampf gegen den politischen Islam“ gefeiert. Von der Politik. Experten hingegen, etwa die Staatsanwaltschaften, waren schon damals skeptisch und hielten die Verschärfung für „entbehrlich“ – aus gutem Grund, es gab seither keine einzige Verurteilung nach dem neuen Gesetz. Um ähnliche Scheinlösungen diesmal zu vermeiden, sollten Fachleute bei neuen Mitlese-Methoden für Nachrichtendienste und bei neuen Paragrafen von Beginn an mitdiskutieren, um zu vernünftigen Lösungen zu kommen – die, Zusatzbonus, auch vor dem Verfassungsgerichtshof halten.
Von kleinlichem Parteien-Hickhack beim heiklen Thema Terrorbekämpfung hat niemand etwas – höchstens die FPÖ: Denn damit gerät in Vergessenheit, dass die Blauen die Unsicherheits-Partei Nummer 1 darstellen, unter deren Mitregierung Geheimdienste zerstört wurden und Österreich von internationalen Informationen abgeschnitten war.
Die Themen Sicherheit und Asyl geraten deshalb so dominant, weil die ehemaligen Großparteien bei anderen Fachgebieten weitgehend auslassen. In der ÖVP zieht es die Minister mit den höchsten Vertrauenswerten, Wirtschaftsminister Martin Kocher und Finanzminister Magnus Brunner, vorzeitig weg, damit geht auch Wirtschaftskompetenz verloren. In der SPÖ setzt Parteichef Andreas Babler scheinbar unbeirrt auf soziale Themen – mit dem Haken, dass große Teile seiner Partei nicht mitspielen.
Damit befinden sich beide im riskanten Wahlkampf-Poker. Sich darauf zu verlassen, dass ihnen schon noch Wählerstimmen zufliegen werden, um die FPÖ zu verhindern, das wird etwas wenig sein.