Ayatollah darf nicht siegen
Diese Sportmeldung ist keine Sportmeldung: Am Montag, dem 21. November, wird das Fussballnationalteam des Iran bei der Weltmeisterschaft in Katar zu seinem ersten Spiel antreten. Der Gegner ist England.
Selten gab es bessere Gründe, eine Nationalmannschaft von einem internationalen Großereignis auszuschließen. Das Regime der Islamischen Republik Iran ist seit acht Wochen mit einer Protestwelle konfrontiert, die vor allem von Frauen getragen wird. Auslöser der Demonstrationen war der Tod der 22 Jahre alten Mahsa Amini, die von der islamischen Sittenpolizei festgenommen worden war, weil sie ihr Kopftuch nicht vorschriftsgemäß getragen haben soll. Sie wurde in Polizeigewahrsam misshandelt und starb am 16. September im Krankenhaus. Seither gehen Frauen auf die Straße, fordern ein Ende des Kopftuchzwangs, die Auflösung der Sittenpolizei und zum Teil auch den Sturz des theokratischen Regimes. Sie nehmen zum Zeichen des Widerstands ihr Kopftuch ab, schneiden sich die Haare; Mullahs wird auf der Straße der Turban vom Kopf geschlagen. Diese Zeichen des Protests werden in sozialen Medien verbreitet, alle Welt soll den Unmut der unterdrückten Frauen sehen und sich mit ihnen solidarisieren.
Die Führung reagiert mit gnadenloser Brutalität. Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen wurden bisher rund 300 Menschen bei den Protesten getötet. Vergangene Woche haben 227 Abgeordnete des Parlaments in Teheran die Justiz aufgefordert, gegen festgenommene Demonstranten die Todesstrafe zu verhängen.
Und jetzt soll das Team dieses Landes unter dem Jubel von Fußballfans und vor unser aller Augen kicken, als wäre nichts?
Es gibt gute Argumente, Politik und Sport voneinander zu trennen. Wer sportbegeistert ist (Offenlegung: Ich bin es), versteht und schätzt dessen positive Effekte: das Verbindende, wenn Teams unterschiedlicher Herkunft in einem friedlichen Wettkampf gegeneinander antreten; die Achtung der Fairness, die Vorbildwirkung entfalten kann; die wichtigen Gesten wie der Handschlag vor dem Match. Weltmeisterschaften und Olympische Spiele sollen ein Freiraum sein, in dem alle Nationen willkommen sind. Sogar das Nationalteam der Diktatur Nordkoreas durfte 2010 bei der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika antreten.
Khamenei und seine Komplizen müssen bloßgestellt werden. Egal wie das Match ausgeht.
Doch es gibt eine rote Linie. Eine Regierung, die gerade ihre Armee losgeschickt hat, um ein Nachbarland zu erobern, kann nicht zeitgleich ihre Fußballmannschaft zur Weltmeisterschaft entsenden. Heißt: Russland ist von der WM in Katar ausgeschlossen.
Hat der Iran die rote Linie nicht auch überschritten? Ja, hat er. Der Weltfußballverband FIFA hat die Ereignisse verschlafen. Es geht nicht darum, die generelle Menschenrechtslage eines Teilnehmerlandes zu beurteilen. Das wäre wohl das Ende internationaler Bewerbe. Wer aber akut gegen die eigene Bevölkerung wütet, soll sanktioniert werden.
Was tun, wenn das nicht passiert? Es bleibt die Möglichkeit, dass das iranische Team seinen Auftritt in einen Protest gegen das Regime verwandelt. Das allerdings erfordert von den Spielern enormen Mut, den man schwer verlangen kann, aber hoch anrechnen muss, wenn ihn einer oder mehrere Athleten aufbringen.
Am 2. November siegte die iranische Klubmannschaft Esteghal im Finale des Super Cups ihres Landes. Amir Arsalan Motahari erzielte den Siegestreffer. Doch er jubelte nicht. So könnte der Protest in Katar aussehen. Auch das Publikum könnte als Zeichen der Solidarität mit dem unterdrückten iranischen Volk stumm bleiben oder sich beim Intonieren der Landeshymne umdrehen.
Symbolische Proteste, die international wahrgenommen werden, sind wichtig. Die Iranerinnen sehen sich in ihrem mutigen Widerstand bestärkt, das Regime in Teheran sieht sich an den Pranger gestellt, und westliche Regierungen sehen sich gezwungen, schärfere Maßnahmen gegen den Iran zu ergreifen.
Warum aber geschieht das nicht schon längst? Kann es irgendeinen Grund geben, ein Regime zu schonen, das Rechte von Frauen beschneidet und jede und jeden, der sich dagegen auflehnt, verhaftet, foltert und mit dem Tod bedroht?
Tatsächlich wurden bereits Sanktionen verhängt, und beim EU-Außenministertreffen am kommenden Donnerstag sollen weitere 31 Personen beziehungsweise Institutionen auf die Sanktionenliste gesetzt werden, kündigte Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock an.
Es ginge noch mehr. Das alte Sanktionenpaket, das dem Iran auferlegt worden war, weil das Regime an der Entwicklung einer Atombombe arbeitete, wurde 2015 durch den Iran-Deal aufgehoben. Man könnte es wieder aktivieren. Allerdings wäre das wohl das Ende der immer noch in Schwebe befindlichen Atomverhandlungen. Gleichzeitig haben die USA gegen den Iran Sanktionen verhängt, weil Teheran Russland bei seinem Angriffskrieg in der Ukraine mit Waffenlieferungen unterstützt.
Es ist kompliziert. Einfach ist hingegen der Schluss, dass am 21. November beim Spiel England-Iran der Oberste Führer Ayatollah Ali Khamenei und seine Komplizen bloßgestellt werden müssen. Egal wie das Match ausgeht.