Robert Treichler: Danke, Donald!
Der US-Wahlkampf scheint ein Happy End zu haben, und das ist er uns, vorsichtig formuliert, auch verdammt noch mal schuldig. Möge Wahlprognostiker Nate Silver die letzten Umfragen in Watte packen (und Hillary Clinton am besten gleich mit), dann werden am 8. November alle, die bei Verstand sind, einander in den Armen liegen und dankbar seufzend Sachen sagen wie: „Gott, war das knapp, weißt du noch, Ende Juli, als Trump vorne lag …?!“ und „Ich hätte einen Lungenflügel gespendet, wenn Hillary einen benötigt hätte, um bis zum 8. November durchzuhalten!“ Ende gut, alles gut, uff!
Ich möchte am Wahlabend niemandem die Laune verderben, deshalb tue ich es jetzt schon: Donald Trump wird am 8. November wahrscheinlich von 30 bis 40 Millionen Amerikanern gewählt werden. Das wäre eine krachende Niederlage, aber dennoch ist die schiere Zahl durchaus beeindruckend. Bislang scheint das niemanden zu kümmern, denn eine Niederlage ist eine Niederlage, und dazu kommt noch ein besonderer Umstand: Das Wählerreservoir von Trump gilt als politisch vernachlässigbar.
Das hat zwei Gründe: Erstens wählen vor allem Weiße den republikanischen Kandidaten, und dieser Teil der Bevölkerung nimmt prozentuell stetig ab. Es ist deshalb jetzt schon fast unmöglich, eine US-Präsidentenwahl zu gewinnen, wenn man nur bei Weißen wirklich gut abschneidet, und es wird in Zukunft aus demografischen Gründen immer schwieriger werden.
Noch im Juli lag Trump bei weißen Frauen der Arbeiterklasse um 23 Prozentpunkte vor Clinton.
Zweitens ist Trumps Wählerbasis ein Bevölkerungsteil, dessen sich ohnehin niemand so recht annehmen möchte. Hillary Clinton sagte Anfang September in einer Rede vor Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen- und Transgender-Aktivisten, man könne die Hälfte von Trumps Wählern in einen „Korb der Kläglichen“ stecken: Es seien Sexisten, Rassisten, Homophobe, Ausländerfeinde, Islamophobe. Sie bedauerte ihre Aussage später, allerdings darf man vermuten, dass dieses Bedauern taktisch motiviert war. Aber ist es denn falsch, auf Wähler, die den sexistischen, rassistischen, ausländerfeindlichen Donald Trump unterstützen, zu pfeifen?
Ja, ist es.
Es genügt, sich einen kurzen Moment lang zu vergegenwärtigen, wie nahe Trump dem Sieg gekommen ist. Er hat alle republikanischen Gegenkandidaten mit Leichtigkeit geschlagen. Er lag knapp drei Monate vor der Wahl Kopf an Kopf mit Hillary Clinton. Hätte Trump sich bei den TV-Debatten besser im Griff gehabt und wären seine Übergriffe auf Frauen nicht publik geworden, seine Niederlage wäre alles andere als gewiss.
Wie wird der nächste Trump aussehen? Freundlich wie Norbert Hofer? In Bezug auf sein Verhalten gegenüber Frauen untadelig wie Geert Wilders? Oder wird es gar eine Frau sein wie Marine Le Pen?
Es hat in diesem Wahlkampf Spaß gemacht, mit dem Finger auf Trumps bevorzugte Gefolgschaft, den heterosexuellen, weißen Mann mittleren Alters, zu zeigen. Dieser müsse entthront werden, schrieb ein Kommentator des US-Magazins „New Republic“. Klar, eitle, mächtige Säcke will man stürzen sehen.
Bloß verwechselt man da Trump mit seinen Wählern. Deren wesentliches Merkmal ist nämlich neben der weißen Hautfarbe ihr niedriger Bildungsgrad. Die weißen, gut gebildeten, sozial abgesicherten Männer – und Frauen – wählen mehrheitlich Clinton. Trump wird der erste republikanische Präsidentschaftskandidat sein, der nicht die Mehrheit der weißen College-Absolventen auf seiner Seite hat.
„I love the poorly educated!“, rief er im Februar in Nevada in die Menge. Und die schlecht Gebildeten lieben ihn – auch die Frauen: Noch im Juli lag er bei weißen Frauen der Arbeiterklasse um 23 Prozentpunkte vor Clinton.
Clinton verspricht, die Reichen stärker zu besteuern, und nimmt alle Haushalte bis zu 250.000 Dollar Jahreseinkommen davon aus.
Die Bilanz ist eindeutig: Die weiße Unterschicht hat die Demokratische Partei verlassen, ebenso wie die Unterschicht in Europa den sozialdemokratischen Parteien den Rücken gekehrt hat. Die ökonomische Begründung liegt auf der Hand: Wer in den USA nur einen High-School-Abschluss vorweisen kann, dessen Einkommen sank zwischen 1996 und 2014 um fast neun Prozent. Im selben Zeitraum stiegen die Einkommen von Uni-Absolventen um 22,5 Prozent.
Die weißen Verlierer müssen sich „White Trash“ nennen lassen, und außerdem sollen sie dafür büßen, dass reiche Weiße, mit denen sie nur die Hautfarbe gemeinsam haben, überall und seit ewigen Zeiten an der Macht sitzen. Wer sich so vernachlässigt fühlt, ist am Ende offenbar bereit, einen Rassisten und Sexisten zu wählen, wenn der verspricht, das Wirtschaftssystem auf irgendeine wundersame Weise kurz und klein zu schlagen und es dann besser zu machen.
Die Demokratische Partei müsste die Partei der kleinen Leute sein, seien sie nun weiß oder nicht. Dafür tut sie zu wenig. Clinton verspricht, die Reichen stärker zu besteuern, und nimmt alle Haushalte bis zu 250.000 Dollar Jahreseinkommen davon aus. Ihre Definition von Mittelstand ist unsinnig.
Trump wird – wenn nicht etwas Unerwartetes passiert – verschwinden. Eine frustrierte Unterschicht wird bleiben, und es ist gar nicht sicher, dass der nächste Populist auch nebenberuflich Sexist und Rassist ist. In Wahrheit muss Amerika Trump dankbar für seine Neigung sein, Wählergruppen in Serie zu verunglimpfen. Die Vernünftigen – Demokraten und Republikaner – haben vier Jahre Zeit, Trumps Wählerreservoir trockenzulegen. Das sollte die Lektion aus dem Albtraum sein, den wir Donald Trump nannten.