Die Regierung ist klimaplanlos
Diese Meldung ist Ihnen bestimmt entgangen: Das oberste Verwaltungsgericht der Republik hat der Regierung vergangenen Mittwoch ein Ultimatum gestellt. Sie hat bis Ende des Jahres Zeit nachzuweisen, dass sie mit zusätzlichen Maßnahmen ihre selbst gesteckten Klimaziele einhalten wird. Andernfalls fordert die Klägerin, eine Gemeinde, 50 Millionen Euro Schadenersatz – pro Halbjahr.
Umweltministerin Leonore Gewessler und die Bundesregierung brauchen sich keine Sorgen zu machen. Die Klage wegen „Untätigkeit in der Klimapolitik“ wurde nicht gegen sie eingebracht, sondern gegen die französische Regierung, und zwar von der Kommune Grande-Synthe, die sich vom Klimawandel besonders stark betroffen sieht. Die zehn Anrainer-Gemeinden des Neusiedlersees hätten allen Grund, eine gleichlautende Klage zu erheben, doch das ist hierzulande nicht vorgesehen. Wenn der See vertrocknet, ist das Pech, aber niemandes Verantwortung.
Wären die Klimaziele auf einer Schießscheibe befestigt, könnte man seine Kinder gefahrlos davor spielen lassen. Sie werden garantiert immer verfehlt.
Noch etwas, wovon Sie bisher höchstwahrscheinlich nichts gehört haben, ist der NEKP. Hinter der Abkürzung verbirgt sich der „Nationale Energie- und Klimaplan“, eine Art Vorhabensbericht, den jedes EU-Mitglied der Europäischen Kommission vorlegen muss. Der NEKP soll darlegen, wie eine Regierung die Pariser Klimaziele zu erreichen gedenkt. Dazu empfiehlt die EU, eine „frühzeitige und inklusive Teilnahme“ der Öffentlichkeit, „deren Meinung eingeholt werden muss, solange alle Optionen noch offen sind“.
Das bedeutet: Wir alle, die Bürgerinnen und Bürger der Republik, sollen Gelegenheit bekommen, öffentlich darüber zu diskutieren, mit welchen Maßnahmen unser Land die Pariser Klimaziele erreichen soll. Bisher beschränkt sich die Teilnahme der Öffentlichkeit auf die Abhaltung eines Klimarates mit insgesamt 84 Personen im ersten Halbjahr 2022. Die Frist für die Abgabe des NEKP ist der 30. Juni.
profil berichtet in dieser Ausgabe, dass in Gewesslers Klimaschutzministerium bisher in der Öffentlichkeit nicht bekannte Ideen gewälzt werden: Auf einem als „vertraulich“ gekennzeichneten Papier sind Maßnahmen aufgelistet wie etwa ein Aus für Verbrennermotoren bereits ab 2027, ein autofreier Tag pro Monat oder ein Tempolimit von 90 km/h auf Landstraßen. Alles viel zu radikal, meinen Sie? Wir sollten es so betrachten: Es ist die Aufgabe der Regierung, einen Plan vorzulegen, wie die Emissionen auf den vereinbarten Wert gesenkt werden können. Wer die Vorschläge falsch findet, soll Gegenvorschläge machen. Bloß: Bisher läuft die Sache so, dass die Öffentlichkeit von den Ideen, wie die Ziele tatsächlich erreicht werden könnten, ganz einfach zu wenig erfährt.
Wären die Klimaziele auf einer Schießscheibe befestigt, könnte man seine Kinder gefahrlos davor spielen lassen. Sie werden garantiert immer verfehlt.
Die Angst der Politik, dem Volk die Wahrheit über die erforderlichen Klimamaßnahmen zuzumuten, ist bis zu einem gewissen Grad verständlich. Als die französische Regierung 2018 eine zusätzliche Abgabe auf Benzin und Diesel einheben wollte, formierte sich eine wütende Protestbewegung – die so genannten „Gelbwesten“ – und legte monatelang immer wieder den Straßenverkehr lahm. In den Niederlanden wiederum katapultierten angekündigte Umweltauflagen für die Landwirtschaft die populistische „Bauern-Bürger-Bewegung“ bei den Provinzwahlen im März auf Platz eins.
Nein, Klimaschutz ist kein Wahlkampfschlager, auch wenn sich in Umfragen die Mehrheit dazu bekennt. Sobald eine Regierung etwas anderes als Förderungen vorschlägt, etwa Regeln, die uns zwingen, die (im Wortsinn) eingefahrenen Bahnen unserer Mobilität zu verlassen, brandet Unmut auf. Die Gasthermenbesitzer zeigen auf die Fleischesser, die Fleischesser auf die Autofahrer, die Autofahrer auf die Vielflieger, und am Ende alle auf das reichste Prozent der Weltbevölkerung. So wird das nichts.
Allerdings gibt es in einer Demokratie zu einer öffentlichen Debatte keine Alternative. Wer Angst vor Gelbwesten, Bauern, Pendlern, der Industrie oder sonst irgendeinem Player im Klimastreit hat, ist im Jahr 17 vor der angestrebten Klimaneutralität (2040) als Regierungsmitglied im falschen Job.
Das Klimaschutzministerium muss mit den erforderlichen Maßnahmen und den dazu gehörigen Berechnungen herausrücken. Wenn, was zu erwarten ist, die ÖVP Einwände hat, ist es an ihr, andere Ideen vorzulegen, allerdings im entsprechenden Ausmaß. Hat sie die?
Finanzminister Magnus Brunner hat Recht, wenn er das Herausfiltern und die geologische Speicherung von CO2 (Carbon Capture) – was nach derzeitiger Gesetzeslage verboten ist – als Mittel zur Erreichung der Klimaziele forciert. Auch Norwegen und Kalifornien, die im Klimaschutz besonders fortschrittlich sind, setzen unter anderem auf diese Technologie. Allerdings reicht dies bei Weitem nicht aus, und auch für die Regierungspartei ÖVP gilt: Sie kann nicht Emissionsziele mitbeschließen und dann mit den Schultern zucken, wenn diese nicht erreicht werden. Der Hinweis, dass es „Fortschritte“ gebe, genügt nicht.
Oder vielmehr: Was sich als Fortschritt verkaufen lässt, könnte nach Beschluss eines Klimaschutzgesetzes schon bald Gegenstand einer Klage sein.