Robert Treichler über "Ehe für alle": Ja!

Robert Treichler: Ja!

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R. war in den 1980er-Jahren mein Mitschüler in einem katholischen Gymnasium in Graz. Er war ein Außenseiter, wir mochten ihn nicht. Einmal trug er eine Hose, die viel zu hoch geschnitten war. Er sah darin seltsam aus, wir verspotteten ihn. Er versuchte, sich zu verteidigen, Hosen mit hohem Bund seien schick. Ich war einer von denen, die R. schlecht behandelten. Es kam zum Glück nie zu Übergriffen, aber es tut mir heute noch leid, wenn ich daran denke, wie wir auf unserem Schulkameraden herumhackten. Erst viel später wurde mir klar, dass R. homosexuell war. Damals jedoch hatte ich keine Ahnung davon.

Die Diskriminierung von Homosexuellen brauchte kein Wissen, keine Motivation, nicht mal Absicht. Sie war da, unhinterfragt und gestützt auf Tausende Jahre von Verfemung durch Religionen, vermeintlich natürliches Empfinden und eine Gewissheit, die das Tabu nährte. Die Geschichte kennt zwar Ausnahmen von dieser nahezu universellen Diskriminierung, etwa in der griechischen Antike, doch die Wucht der Abscheu gegenüber Homo- sexuellen war in der Historie enorm.

Umso erstaunlicher das Tempo, in dem die Gesellschaften der westlichen Industriestaaten die gesetzliche und gesellschaftliche Ächtung aufhoben. Vergangenen Freitag beschloss die Mehrheit des Deutschen Bundestags die Ehe für alle und damit die endgültige rechtliche Gleichstellung von hetero- und homosexuellen Paaren. Das Ende dieser Benachteiligung ist ein Grund zur Freude für alle Bürger. Festgeschriebenes, staatlich legitimiertes Unrecht schadet der Demokratie insgesamt.

Das Ende dieser Benachteiligung ist ein Grund zur Freude für alle Bürger.

Jetzt, da sich das Happy End eingestellt hat, drängt sich ein Blick zurück auf mit der Frage: Welche Personen, welche Gruppe, welche Haltung, welcher Geist schafft es, eine Gesellschaft aus der Finsternis unhinterfragter Mythen zu befreien? Wem müssen wir danken?

Den Betroffenen selbst. Der Name Karl Heinrich Ulrichs ist längst vergessen, heute sollte er in Erinnerung gerufen werden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als es den Begriff „Homosexualität“ noch nicht gab, verfasste der deutsche Theologe, Jurist und Burschenschafter „Forschungen über das Räthsel der mannmännlichen Liebe“, trat für die Eheschließung zwischen Männern ein – und floh schließlich ins italienische Exil, wo er 1895 starb. „Ja, ich bin stolz, daß ich die Kraft fand, der Hydra der öffentlichen Verachtung einen ersten Lanzenstoß in die Weichen zu versetzen“, schrieb Ulrichs, über den der Sexualwissenschafter Volkmar Sigusch das Buch „Der erste Schwule der Weltgeschichte“ verfasste. Das öffentliche Coming-Out von gewöhnlichen Bürgern und prominenten Homosexuellen machte die Diskriminierung und die dahinterstehenden Irrtümer und niederen Instinkte immer wieder anschaulich. Ihren Mut bezahlten viele mit noch stärkeren Anfeindungen.

Den Homosexuellen-Organisationen. Die Kraft des Widerstands Einzelner potenzierte sich durch die Bildung von Gruppen und schließlich der Schwulen- und Lesbenbewegung. Prägend für die kämpferische Haltung war der Stonewall-Aufstand 1969 in New York, als Homo- und Transsexuelle bei einer Razzia in der Homo-Bar Stonewall Inn in der Christopher Street den Polizisten eine Schlacht lieferten. Der Christopher Street Day entstand, die Gay Prides folgten.

Den Parteien, mit allen Vorbehalten. Doch am Ende brauchte es bei jedem einzelnen Schritt zur Gleichstellung die Mehrheit der demokratisch legitimierten Abgeordneten. Die linken Parteien – Kommunisten, Sozialdemokraten und Grüne – standen fast immer auf der richtigen Seite. Liberale handelten ähnlich. Bei Konservativen und Rechten überwogen oft traditionelle, christliche oder sonstwie homophobe Einstellungen. Dennoch: Bei der Entkriminalisierung der Homosexualität in Österreich im Jahr 1971 war auch der FPÖ-Abgeordnete Gustav Zeillinger aufseiten der Befürworter. Und in Großbritannien erklärte Premier David Cameron 2011 die Homoehe zu einem konservativen Projekt: „Konservative glauben an das Bekenntnis, das uns miteinander verbindet. Deshalb unterstütze ich die Homoehe – und zwar nicht, obwohl ich ein Konservativer bin, sondern weil ich ein Konservativer bin.“

Dem Papst. Franziskus erklärte vergangenes Jahr, dass sich die Kirche bei den Homosexuellen entschuldigen solle, weil die Christen „viele falsche Entscheidungen begleitet haben“. Als Oberhaupt der Institution, die Homosexualität als sündhaft verdammte, hatten diese Worte Gewicht. Die Homoehe befürwortete er dennoch nicht.

Der Aufklärung, mit allem gebotenen Pathos. Keine andere Idee, ganz bestimmt keine Religion, kein Konzept der Nächstenliebe, keine Form des Konservativismus hätte so klar und unanzweifelbar die Gleichberechtigung der Homosexuellen vorangetrieben und erreicht. Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 hält in Artikel 1 das Prinzip der Gleichheit fest. Es mag banal klingen, doch die Durchsetzungskraft dieser Idee ist unerreicht.

Dass das österreichische Parlament im Gegensatz zum Deutschen Bundestag vergangene Woche nicht den Weg für die Ehe für alle freigemacht hat, ist peinlich und beschämend für Sebastian Kurz und dessen vermeintlich Neuer ÖVP, für FPÖ und Team Stronach. Sie wollen sich der Aufklärung entgegenstellen.

Sie haben jetzt schon verloren.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur