Robert Treichler: El Clásico

Barcelona gegen Madrid. Ein Match ohne Schiedsrichter.

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Das Positive zuerst: Keine der beteiligten Konfliktparteien verfügt über Atomwaffen, und Donald Trump und Kim Jong-un sind auch nicht mit von der Partie. Der Streit zwischen Barcelona und Madrid, zwischen den Katalanen und dem spanischen Staat, hätte also Chancen, vernünftig geregelt zu werden. Trotzdem geht im Moment alles schief. Die Katalanen wollen am 1. Oktober ein Referendum über eine Abspaltung vom spanischen Staat abhalten und im Falle einer Mehrheit binnen 48 Stunden die Unabhängigkeit Kataloniens erklären. Die Regierung unter der Führung des konservativen Premiers Mariano Rajoy will dies mit allen Mitteln unterbinden. Sie beruft sich auf ein Urteil des Verfassungsgerichts, das die geplante Abstimmung für illegal erklärt hat und rückte vergangene Woche mit Polizeiaufgeboten aus. Politiker und Beamte, die an der Organisation der untersagten Abstimmung arbeiteten, wurden festgenommen, Wahlurnen und Flugblätter mit Aufrufen zum Referendum beschlagnahmt.

So weit hätte es nicht kommen dürfen. So etwas passt nicht in die politische Kultur der Europäischen Union. Bloß: Wann ist die Vernunft in dieser Auseinandersetzung abhanden gekommen?

Vielleicht schon ganz zu Beginn, als die katalanische Regionalregierung behauptete, die Katalanen hätten ein Recht darauf, einen eigenen Staat zu gründen, wenn sie dies wollten. Sie begründete dies mit dem Grundsatz des Selbstbestimmungsrechts der Völker, der in der UN-Charta, Artikel 1, Ziffer 2 festgehalten ist. Doch ihre Interpretation dieses Prinzips schießt weiter über das Ziel hinaus. Nicht jede Minderheit eines Landes hat automatisch das Recht, den Staat zu verlassen. Eine Abspaltung gegen den Willen des Staates auf Basis des Selbstbestimmungsrechts ist ein Akt der Notwehr, politisch gerechtfertigt im Fall von Diskriminierung eines Volkes. Die Rechte der Kosovo-Albaner wurden mit Füßen getreten, deshalb wurden ihre Unabhängigkeitsbestrebungen international (auch von Österreich) unterstützt. Katalonien ist keine spanische Kolonie, die Katalanen stehen nicht unter Fremdherrschaft, ihre Rechte sind mehr als intakt: Katalanisch ist (neben dem Spanischen) Amtssprache in Katalonien, eine Diskriminierung dieser reichsten Region Spaniens ist nicht auszumachen, es sei denn, man subsumiert darunter die Steuerlast, die wirtschaftlich starke Gebiete härter trifft.

Die spanische Verfassung, die auch in Katalonien Gültigkeit hat, wurde den Katalanen nicht aufgezwungen, sondern 1978 per Volksabstimmung von den Bürgern angenommen – in Katalonien mit einer Mehrheit von 95 Prozent.

All das spricht dafür, den Katalanen die Schuld an dem derzeitigen Schlamassel zu geben. Madrid ist gemäß der höchsten verfassungsrechtlichen Instanz juristisch gesehen im Recht. Und politisch ist der Separatismus der Wohlhabenden, denen der Finanzausgleich mit ärmeren Regionen auf die cojones geht, mittelmäßig sympathisch.

Und dennoch. Wenn das kollektive Gefühl, fremdbestimmt zu sein, über die Jahre immer stärker wird, muss man das wohl oder übel als politische Realität anerkennen. Ähnlich wie religiöse Gefühle lassen sich nationale Träume nur schwer mit verfassungsrechtlichen Erkenntnissen bändigen. Aber lassen sie sich überhaupt irgendwie in den Griff bekommen?

Auf Dauer sind nationale Aspirationen nicht zu unterdrücken.

Wohl nicht durch die eben ins Treffen geführten Argumente. Zielführender ist es, den Katalanen vor Augen zu führen, dass ein kleiner Staat weniger Gewicht hat. Es mag zwar erbaulich sein, auch in Brüssel die katalanische Fahne zu hissen, aber damit wechselt die Region auf die Seite der Schwachen in Europa. Auch für die vielen Bürger aus anderen Regionen Spaniens, die in Katalonien leben, macht die Gründung eines neuen Staates das Leben komplizierter. Dasselbe gilt für die Unternehmen in der Region.

Das Schicksal endlich selbst in die Hand zu nehmen, ist als nationalistischer Schlachtruf emotional verdammt verführerisch. Nur wenn der Blick auf den Alltag die nationalen Gefühle etwas dämpft, kann die Vernunft zu ihrem Recht kommen.

Oder eben nicht. Auf Dauer sind nationale Aspirationen nicht zu unterdrücken. Die katalanischen Separatisten sind clever genug, ihre Los-von-Madrid-Bewegung als rein demokratische Veranstaltung zu verkaufen. Dass sie demokratische Institutionen wie das Verfassungsgericht und die gewählte spanische Regierung diskreditieren, fällt unter den Tisch. Es ist "El Clásico", Barcelona gegen Madrid, bloß haben die Katalanen den Schiedsrichter rausgeschmissen.

Aber am Ende ist es vielleicht – entgegen der Rechtslage und entgegen der politischen Einschätzung – unausweichlich, den Katalanen die Möglichkeit zu geben, über ihren Verbleib im spanischen Staat abzustimmen. Und zu hoffen, dass ein solcher Akt der Großzügigkeit die aufgeputschte Atmosphäre etwas entspannt, und die Katalanen bleiben. "El Clásico", das ewige Match zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona konnte schließlich nur deshalb zur Tradition werden, weil es eine spanische Liga gibt.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur