Kommentar

Es waren einmal die Republikaner

Was hat der Krawall-Populismus aus der einst staatstragenden Partei gemacht? Eine Tragikomödie.

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Müsste ich Parteien nennen, bei denen ich derzeit ganz bestimmt nicht Mitglied sein will (nebenbei: Ich war bei keiner Partei jemals Mitglied, und das wird auch so bleiben), fallen mir sofort diese beiden ein: die Republikanische Partei der USA und die britischen Tories. Das hat nicht in erster Linie ideologische Gründe. Was die beiden verbindet: Sie waren bis vor Kurzem sehr erfolgreich und sind jetzt in einem erbärmlichen Zustand.

Die Republikaner geben sich gerade im Repräsentantenhaus alle Mühe, unter Beweis zu stellen, dass sich in ihren Reihen ausreichend viele politisch unzurechnungsfähige Abgeordnete befinden, um zumindest vorübergehend eine der tragenden Institutionen der Demokratie lahmzulegen. (Bis Redaktionsschluss dieser profil-Ausgabe hatte die Tragikomödie um die Wahl des Speakers kein Ende gefunden.) Diese Leute sind in der Ära des Krawall-Populismus unter Donald Trump in ihre Ämter gespült worden.

Die britischen Tories wiederum sind zwar an der Regierung, dies allerdings in der nahezu unumstößlichen Gewissheit, bei der nächsten Wahl zahlenmäßig arg dezimiert zu werden. Bis dahin ergeht sich ein Gutteil ihrer Abgeordneten in Nostalgie für den Mann, der ihr Schlamassel angerichtet hat: Boris Johnson.

Beide Parteien hatten Chefs, die zwei Eigenschaften hatten: Sie konnten Wahlen gewinnen, waren jedoch unfähig zu regieren. Es ist irgendwie noch nachvollziehbar, dass sich Parteien nur schwer von Führungspersonen trennen können, die erfolgreich sind. Weniger nachvollziehbar ist, weshalb das Wahlvolk an solchen Typen hängt. Bis heute genießen Trump und Johnson innerhalb ihres Lagers die höchsten Sympathiewerte.

Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Ihre Zeit ist vorbei. Beide, Trump und Johnson, haben so viele desaströse Skandale zu verantworten, dass sie nicht länger mehrheitsfähig sind. Sie haben eine Ära geprägt, in der Radau(politologisch-höflich formuliert: Disruption) attraktiver war als Seriosität. Der Entertainment-Faktor schlug jedes ernsthafte Konzept, Lautstärke übertrumpfte Vernunft, Lüge stach Logik aus. Die Folgen dieser Entwicklung, die im Jahr 2016 mit Trump und Brexit so richtig begann, erleben wir noch heute – zum Beispiel im US-Repräsentantenhaus. Doch die Attraktivität hat merklich nachgelassen und der Peinlichkeit Platz gemacht. Jetzt sitzen die republikanischen Abgeordneten ratlos im Plenum, beschlussunfähig, obwohl sie die Mehrheit stellen. Die amerikanische Demokratie wird auch dieses Schauspiel überdauern.

Mit dem Abstand von ein paar Jahren kann man vielleicht sogar zugestehen, dass eine Phase der Disruption eine natürliche Reaktion auf jahrzehntelange Konsenspolitik ist. „Fad“ sei die Politik geworden, und die Parteien „ununterscheidbar“, lautete ein beliebtes – und nicht ganz falsches – Lamento. Dann wurde es widerlich.

Schlägt das Pendel jetzt zurück? Ja, spätestens seit dem Sieg von Joe Biden, dem Kompromisskandidaten der Demokraten 2020. Und auch jetzt. Achten Sie einmal kurz auf den Kandidaten der Demokraten bei der Wahl des Speakers im Repräsentantenhaus: Er heißt Hakeem Jeffries, ist 52, Afroamerikaner aus Brooklyn, und weil er der Zahlenlogik gemäß keine Chance hat, eine Mehrheit zu bekommen, steht er bisher nicht im Mittelpunkt. Doch Jeffries ist ein Politiker der Zukunft. Er kann das, was zuletzt nicht gefragt war: Konsens. Die Linken in seiner Partei unterstützen ihn ebenso wie die Moderaten, und bei der Justizreform paktierte er mit Abgeordneten der Republikanischen Partei.

Mit politischen Gegnern (in der eigenen und in anderen Parteien) einen Kompromiss finden, um ein Gesetz zu beschließen – das ist Politik. Politische Gegner (in der eigenen und in anderen Parteien) zu verunglimpfen und zu schwören, niemals mit ihnen zu kooperieren – auch das ist Politik. Welche der beiden Alternativen gerade angesagt ist, entscheiden die Wählerinnen und Wähler. Auffallend ist, dass auf eine Überdosis an Eklats der Wunsch nach Mäßigung folgt.

Politischer Selbstmord im Livestream aus dem Repräsentantenhaus.

Denn wer will 20 fundamentalistisch-abtrünnigen Hardcore-Konservativen im Repräsentantenhaus tagelang dabei zusehen, wie sie Kevin McCarthy, den Kandidaten ihrer eigenen Fraktion, blockieren? Das Problem an einer Krawall-Überdosis in der Politik: Am Ende ist zwar keiner gestorben, wohl aber politisch tot.

All das spricht dafür, dass weder Boris Johnson wiederkehrt, noch Donald Trump 2024 der Kandidat der Republikanischen Partei sein wird. It’s over. Trump selbst weiß das noch nicht, aber die Absetzbewegung in seiner Partei zeigt, dass die Botschaft langsam sickert.

Doch wie weit ist der Weg zurück von politischer Verantwortungslosigkeit zu einer Partei, der man zutrauen kann, ein Land zu regieren?

Möglichst lange, hoffen naturgemäß die politischen Gegner, und die Republikaner tun derzeit wenig, um dies zu widerlegen. Führungslos, unberechenbar und zerstritten gibt die vormals staatstragende Kraft ein Bild des Jammers ab.

Die Republikanische Partei war dem Rechtspopulismus verfallen, weil er ihr Unbesiegbarkeit verhieß. Stattdessen: politischer Selbstmord im Livestream aus dem Repräsentantenhaus.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur