Robert Treichler: Freiheit für Zuckerberg!

Hosni Mubarak hatte zu Recht Angst vor Facebook – wir sollten keine haben.

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Wer fürchtet sich vor Facebook? Vor sechs Jahren hätte die Antwort so gelautet: Diktatoren, autoritäre Regime, alle Gegner der freien Rede. Sie hatten mit gutem Grund Angst davor, dass soziale Medien Bürgern plötzlich die Möglichkeit boten, ihre Meinung kundzutun und sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen. In Ägypten forderte Wael Ghonim, ein bis dahin völlig unbekannter junger Mann aus Kairo, 2010 das diktatorische Regime von Hosni Mubarak heraus, indem er unter falschem Namen auf Facebook eine Seite mit dem Titel „Wir sind alle Khaled Said“ einrichtete. Khaled Said war ein ägyptischer Blogger, der von der Geheimpolizei festgenommen und in ihrem Gewahrsam zu Tode gekommen war. Mubaraks Regime stürzte, die „Facebook-Revolution“ hatte dazu beigetragen, und das US-Magazin „Time“ setzte Ghonim 2011 auf Platz eins der Liste der einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt. Der ägyptische Internet-Aktivist sagte damals auf CNN: „Ich möchte Mark Zuckerberg eines Tages treffen und ihm danken. Diese Revolution begann auf Facebook.“

Seither ist viel passiert. Die ägyptische Revolution – und insgesamt der Arabische Frühling – haben ein trauriges Ende genommen. Aber noch etwas hat sich geändert: Die schärfsten Gegner und Kritiker von Facebook sind nicht mehr nur autoritäre Regime, die westliche Errungenschaften wie Demokratie und Meinungsfreiheit ablehnen. Neuerdings ist es der Westen selbst. In der öffentlichen Meinung hat sich die Stimmung gegenüber dem sozialen Medium ins Gegenteil verkehrt. Waren frei zugängliche Plattformen vor wenigen Jahren noch ein Tool, um die Idee der Freiheit zu verbreiten, so gelten sie heute zusehends als Brutstätte gefährlicher Umtriebe und Quelle von Hass und Falschinformation.

Seltsamerweise war das auch die Einschätzung von Machthabern wie Mubarak. Und es ist nicht ganz falsch, denn selbstverständlich produzieren 1,8 Milliarden Facebook-User unter anderem auch jede Menge Stuss, Bösartigkeiten und zu einem geringen Teil sogar kriminelle Inhalte.

Deshalb werden Forderungen nach Beschränkungen aller Art laut: Facebook soll schneller und verlässlicher Hasskommentare löschen; die Betreiber der Plattform sollen dafür sorgen, dass Poster die nationalen Gesetze beachten – in Österreich etwa den Wiederbetätigungsparagrafen. „Standard“-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid verlangt in einem Kommentar „Auflagen für Facebook & Co“ und verweist auf Falschinformationen, die im zu Ende gehenden Bundespräsidentschaftswahlkampf „gezielt verbreitet“ worden seien. Barbara Toth, leitende Redakteurin der Wiener Stadtzeitung „Falter“ verlangt sogar, Facebook in ein „öffentlich-rechtliches Unternehmen“ umzuwandeln und damit de facto zu verstaatlichen.

Das wäre nicht nur das Ende der sozialen Medien, wie wir sie kennen, sondern viel schlimmer: Autoritäre Regime von Venezuela bis China hätten die perfekte Rechtfertigung für ihr Vorgehen, das Internet von Aufrufen zu Gewalt (der Opposition), Hass (gegen die Regierung) und Falschinformationen (gemäß staatlicher Richtlinien) zu säubern.

Facebook ist auch so etwas wie eine Klowand.

Eine weltumspannende Kommunikationsplattform wirft viele Fragen auf, die längst nicht befriedigend beantwortet sind. Doch wenn wir nicht aufpassen, drohen Kulturpessimismus und Wehleidigkeit das enorme Aufklärungspotenzial globaler sozialer Medien zu untergraben. Das wäre verdammt schade: Gertrude, die Auschwitz-Überlebende, war mit über drei Millionen Views der Facebook-Star der vergangenen Woche.

Bereits die Forderung, nationale Gesetze zu beachten, ist problematisch. In Frankreich etwa ist es verboten, den Genozid an den Armeniern zu leugnen, in der Türkei jedoch ist es verboten zu behaupten, es habe ein Genozid an den Armeniern stattgefunden. Soll Facebook die User gemäß nationaler Gesetzeslage voneinander fernhalten? Soll Mark Zuckerberg dafür vor Gericht belangt werden, wenn ein Bürger der USA – wo weder das eine noch das andere verboten ist – eine der beiden Behauptungen postet? Dasselbe gilt für die Holocaustleugnung, die etwa in Österreich und anderen, vor allem europäischen, Staaten verboten ist, in den meisten Staaten der Welt jedoch erlaubt.

Hass wiederum ist nicht verboten, solange nicht Straftatbestände wie gefährliche Drohung, Verhetzung oder Beleidigung erfüllt sind. Die Gesetzgebung kommt mit dem Phänomen globaler sozialer Netzwerke noch nicht klar. Welcher Rechtsbestand gilt bei weltweit zugänglichen Inhalten? Jeweils der nationale? Wollen wir das globale Dorf fragmentieren? Oder wollen wir Facebook gar sicherheitshalber unter Kuratel eines öffentlich-rechtlichen Aufsichtsgremiums stellen?

Bloß nicht. Die freie Welt muss vorzeigen, was freie Meinung in einer Demokratie alles darf: Solange keine strafrechtlichen Tatbestände erfüllt sind, darf sie hassen, dumm sein und sogar Falschinformationen in die Welt setzen. Es gibt gute Gründe dafür, nicht beim kleinsten Regelverstoß einzuschreiten, sondern Postings in sozialen Medien gewissermaßen als „milieubedingte Äußerungen“ zu betrachten. Facebook ist auch so etwas wie eine Klowand.

Der Westen läuft derzeit Gefahr, das Vertrauen in seine eigenen Errungenschaften zu verlieren: freie Medien, Freihandel, Globalisierung. Sie sollten unsere Werte in die Welt tragen. Stattdessen schlottern uns jetzt vor ihren Konsequenzen die Knie? Kleinmut kommt vor dem Fall.

[email protected] Twitter: @robtreichler

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur