Robert Treichler: Hurra, eine neue Steuer!
Auf dem Gemälde „Fabriken in Asnières“ von Vincent van Gogh aus dem Jahr 1887 zeugen rauchende Schlote von Betriebsamkeit, das Ensemble der Gebäude ist umgeben von einem Zaun, davor liegt ein Getreidefeld. So liebreizend und überschaubar sahen erfolgreiche Industriebetriebe Ende des 19. Jahrhunderts aus. Wie würde van Gogh wohl das Unternehmen Google malen? Keine Fabrik, keine Arbeiter, kein Zaun, keine Waren, keine Läden – der Künstler fände kein Motiv und würde wahrscheinlich unverrichteter Dinge abziehen.
So ähnlich ist es mit dem Steuersystem. Das basiert immer noch auf der Annahme von Fabriken und Waren, und im Fall von Digitalanbietern wie Google fehlt dem Finanzamt ein materieller Betriebsstandort. Das Ergebnis: praktisch keine Steuer.
Bei dem Begriff Fortschritt denkt man an Computer, künstliche Intelligenz, Krebsforschung und dergleichen, aber ganz bestimmt nicht an eine neue Steuer. Doch jetzt ist die internationale Gemeinschaft drauf und dran, genau in diesem Bereich einen der größten Fortschritte seit Langem zu machen. Eine globale Digitalsteuer soll regeln, dass Online-Unternehmen ihre Gewinne dort versteuern müssen, wo sie ihre Gewinne machen, ohne dass dabei auf überalterte Kriterien wie physische Präsenz geachtet wird. Das ist revolutionär und auf mehreren Ebenen erfreulich.
Das Wichtigste daran ist die Fairness. Digitalkonzerne konnten ihre Gewinne bisher listig dort deklarieren, wo sie kaum Steuern zahlen mussten, während traditionelle Unternehmen ihrem jeweiligen Finanzamt nicht entkommen.
Lange schien es, als wäre Gerechtigkeit in dieser Frage außer Reichweite. Die Staaten konnten sich nicht einigen. Vor allem die USA, wo mit Amazon, Apple, Facebook, Google und Microsoft die „Großen Fünf“ beheimatet sind, wehrten sich gegen eine Steuerpflicht, die de facto nur US-amerikanische Unternehmen betroffen hätte. Die Tech-Unternehmen selbst verspürten verständlicherweise keinen Drang, besteuert zu werden, und so endeten alle Versuche gewissermaßen mit „Error 404 – Die Seite konnte leider nicht gefunden werden.“
Warum könnte es jetzt klappen?
Erstens: Druck. Weil einzelne Staaten – darunter auch Österreich – begonnen haben, Digitalsteuergesetze zu erlassen, bedeutet das für weltweit aktive Konzerne, sich in einem Dschungel von unzähligen nationalen Steuerregeln zurechtfinden zu müssen.
Zweitens: Pragmatismus. Während die US-Administration unter Präsident Donald Trump die Verhandlungen im vergangenen Juni abbrach, ist die Regierung unter dem neuen Präsidenten Joe Biden an einem Konsens interessiert. Ihr Vorschlag: Es sollen nicht ausschließlich US-Konzerne betroffen sein, sondern die 100 größten Konzerne der Welt mit einem Gewinn von mindestens 20 Milliarden. Was nämlich ein „digitaler“ Konzern ist, kann ohnehin nur noch schwer definiert werden, schließlich sind auch Autos längst Computer auf Rädern.
Drittens: Geld. Die Wahrheit ist ein wenig schnöde, aber nicht zuletzt bedeutet eine Steuer für alle Staaten Mehreinnahmen. Und wer will darauf verzichten?
Gleichzeitig mit der globalen Digitalsteuer hat US-Finanzministerin Janet Yellen auch einen Vorschlag für einen weltweiten Mindeststeuersatz für Unternehmen von 21 Prozent für Gewinne im Ausland und 28 Prozent für solche im Inland auf den Tisch gelegt. Wenn alle reichen Staaten dies akzeptieren, würden dadurch Steueroasen trockengelegt, denn wie niedrig auch immer die Steuerpflicht dort sein mag, der Rest auf 21 Prozent wäre zu Hause zu berappen.
Es ist faszinierend, zu sehen, wie eine vernünftige Idee sich irgendwann doch Bahn bricht; und nicht minder erstaunlich, wie rasch die internationale Zusammenarbeit vor allem zwischen den USA und Europa wieder funktioniert. Der beklagte Vertrauensverlust aus den vier Jahren der Trump-Ära erwies sich als kurzlebig wie ein Tweet.
Man sollte es öfter mal erwähnen, gerade wenn alle Welt sich in düsterer Schwermut ergeht: Der Fortschritt existiert, und er ist sogar global.
Weil aber kaum etwas auf der Welt ausnahmslos gut oder schlecht ist, gibt es auch bei dem globalen Mindestsatz für Unternehmenssteuern einen Einwand, und der kommt überraschenderweise nicht von den Unternehmen selbst. Ausgerechnet David Malpass, der Präsident der Weltbank, und damit der Institution, die sich der Bekämpfung der Armut verschrieben hat, warnt davor, den Mindeststeuersatz zu hoch anzusetzen. Für arme Staaten sei ein niedriger Steuersatz nämlich oft eine der wenigen Möglichkeiten, Investoren ins Land zu bekommen, und 21 Prozent „finde ich hoch“, merkte Malpass an.
Noch ist nichts beschlossen, und mit gutem Willen lassen sich bestimmt auch dafür sinnvolle Ausnahmeregelungen finden. Entscheidend ist die vorherrschende Dynamik, und die weist in die richtige Richtung. Waren eben noch Strafzölle das neue Schwarz, so sind es in der Saison F/S 21 vernünftige Spielregeln, die im Konsens gefunden werden. Institutionen wie die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) können ihrer Rolle gerecht werden, wenn Leute wie Donald T. wieder das tun, wovon sie etwas verstehen.
„Älterer Golfspieler in Mar-a-Lago“ wäre ein schönes Motiv für David Hockney.