Robert Treichler: Ihre Königliche Kündigung
Harry (35) und Meghan (38) haben einen Beschluss gefasst. Es sei an der Zeit, sich im Leben neu zu orientieren. Sie verfielen dabei auf einen nicht gänzlich unnachvollziehbaren Wunsch: Sie wollen nicht länger denselben Beruf ausüben wie Harrys Oma, Opa, Vater, Stiefmutter, Bruder, Schwägerin, Neffen und die gesamte übrige Verwandtschaft. Die Berufsbezeichnung lautet „Königliche Hoheit“, respektive „Mitglied des Königshauses“.
Es ist an sich kein schlechter Job. Man verbringt viel Zeit unter Leuten, wobei es sich dabei oft um Untertanen handelt, also um Personen, die erstaunlich wenige Ländereien besitzen, dafür aber einen Nachnamen. Man kommt auch viel an die frische Luft, weil es zu den regelmäßigen Pflichten gehört, von Balkonen und aus Kutschen mit offenem Verdeck zu winken, was dem Zusammenhalt des Volkes dient. Weiters gilt es als unerlässlich, die Öffentlichkeit würdevoll über den familiären Alltag auf dem Laufenden zu halten, Geburten bekannt zu geben, Hochzeiten im Live-TV zu zelebrieren, Bekenntnisse zu Seitensprüngen und Dementis von Vergewaltigungsvorwürfen hingegen nach Absprache mit dem Anwaltsstab etwas zeitversetzt.
Die Herausforderungen verlangen den Königlichen Hoheiten einiges ab. In ihrer Jugend entkommen sie dem für sie reservierten Platz an einer Elite-Uni nicht, auch wenn sie es intellektuell nicht draufhaben, weiters müssen sie sich alle ihre Titel merken, denn ein und dieselbe Person kann auf englischem Boden Prinz von Wales heißen, aber Herzog von Rothesay, sobald sie schottischen Boden betritt.
Schließlich, nicht zu vergessen, die Nummer in der Thronfolge! Harry ist Nummer 6. Jetzt aber sehnen sich er und Meghan nach der prickelnden Normalität eines Paares, das auf eigenen Beinen steht und völlig befreit von königlicher Herkunft ganz neu beginnt, wobei Spuren der erblichen Belastungen nicht restlos abzuschütteln sind: Auch wenn Harry und Meghan die hinderliche Apanage stornieren, die ihnen für den Dienst an der Krone zustand, bleiben immer noch Einnahmen von fast fünf Millionen Euro jährlich aus den Besitzungen des Herzogtums Cornwall, rund zwei Millionen für Security, Personal und dergleichen, das Anwesen Frogmore Cottage und schließlich die eingetragene Marke „Sussex Royal“, deren Wert auf 450 Millionen Euro geschätzt wird. Aber gut, jedes junge Paar braucht ein Starterpaket.
Doch plötzlich bricht im Vereinigten Königreich, für das Harry und Meghan jahrelang aufopfernd Loyalität, Kontinuität und Telegenität bewiesen haben, die Hölle los! „Wirf sie jetzt raus!“, fordert der TV-Star-Journalist und Kolumnist der „Daily Mail“, Piers Morgan, Queen Elizabeth II. auf. Harry und Meghan seien eine Gefahr für die Monarchie. Die undankbaren Vorhaltungen reichen bis zu Blättern der ehemaligen Kolonien Neuenglands, namentlich der „New York Post“.
In kleinlichem, bürgerlich-steuerzahlerischem Neid wird vorgerechnet, wie viel Geld die Royals kosten. Das Seltsame daran ist, dass die Erhaltung der abgezählten 44 Personen, die auf dem Königlichen Familienfoto zu sehen sind, auch bisher schon deutlich budgetwirksamer war als etwa die 24.516,10 Euro brutto (14 mal jährlich), mit denen der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen den Staatshaushalt belastet. Solange Harry und Meghan artig für Krankenhauseröffnungen zur Verfügung standen und Baby Archie (Nr. 7, acht Monate) in die Kamera hielten, schien das niemanden zu stören.
Britische Presse im Guillotine-Modus
Jetzt aber schaltet die britische Presse in den Guillotine-Modus. Am Freitag berichtete die „Sun“, Meghan sei nach Kanada „geflüchtet“. Von einem „Bürgerkrieg“ im Hause Windsor ist die Rede, und die Forderung, den Abtrünnigen das Recht an ihren Titeln zu entziehen, macht die Runde.
Optional könnte man Harry und Meghan einer etwas entschlafenen Tradition folgend in Westminster Hall wegen Hochverrats vor Gericht stellen. Für Charles I. endete das im Jahr 1649 mit seiner Enthauptung.
Doch, halt! Erst ist die Verteidigung am Wort! Harry und Meghan muss zugute gehalten werden, dass sie mit dem Softstorno ihres ungeschriebenen Arbeitsvertrags bei gleichzeitiger Erfindung des bedingungslosen Spitzeneinkommens lediglich auf sehr elegante und zudem geschlechterparitätische Weise klargemacht haben, was Republikaner seit Jahrhunderten wissen: Königliche Häupter samt ihren vorgeblichen Pflichten sind in einer aufgeklärten Gesellschaft ein anachronistischer, im besten Fall putziger Fremdkörper. Wenn Harry und Meghan einen Bürgerkrieg angezettelt haben, dann taten sie das mit einer Presseerklärung und einem Flugticket nach Kanada. Sollte das die britische Monarchie tatsächlich ins Wanken bringen, dann wäre das erstens auch nicht so schlimm und zweitens deutlich angenehmer, als hätten Robespierre und Danton die Sache in die Hand genommen.
Eine Strafe sollten Harry und Meghan dennoch bekommen. Als Ersatz für erhaltene Leistungen während ihrer royalen Vergangenheit müssen sie in ihrer neuen Wohnung in Kanada eine Stunde pro Woche am Balkon stehen und winken.
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