Robert Treichler: Das Verhängnis

Die Anerkennung von Jerusalem als Hauptstadt Israels durch Donald Trump ist ein Beispiel für die ­Fehlinterpretation der Vokabel „pro-israelisch“.

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Israels Regierungen hatten seit der Gründung ihres Staates einen sehnlichen Wunsch: Jerusalem sollte von der internationalen Gemeinschaft als Hauptstadt anerkannt werden. Sie präsentierten dies meist als harmloses Ansinnen, als eine simple Bitte um einen symbolischen Akt. Israel hatte zudem gute Argumente: Jerusalem beherbergt in der Altstadt den Ort, an dem der von König Salomo erbaute Tempel stand und wo nach dessen Zerstörung der zweite Jerusalemer Tempel errichtet wurde. Noch heute ist von der Anlage die Klagemauer übrig, zu der Juden zum Gebet kommen. Regierungssitz, Ministerien und die Knesset, das israelische Parlament, befinden sich allesamt in dieser Stadt, die Juden als selbstverständliche Hauptstadt ihres Staates ansehen.

Bloß: Die ganze Welt wusste, dass Jerusalem eben nicht einfach die Stadt ist, in der sich die israelischen Institutionen und Heiligtümer befinden, sondern auch jene, deren östlicher – palästinensischer – Teil besetzt, umstritten und Gegenstand von Verhandlungen ist (oder sein sollte). Und deshalb wurde Israels Wunsch nach Anerkennung der Hauptstadt nicht erfüllt. Es gibt wohl kaum eine andere Frage von internationaler Bedeutung, in der sich die islamistische Palästinenserorganisation Hamas, Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, die Arabische Liga, Papst Franziskus, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und die Führung des Iran einig sind. Aber zu jedem grundvernünftigen Konsens gibt es eine Antithese, und die wohnt im Weißen Haus. Und so erfüllte US-Präsident Donald Trump Israel vergangene Woche den lang gehegten Wunsch. Washington betrachtet Jerusalem von nun an als rechtmäßige Hauptstadt und wird seine Botschaft in den kommenden Jahren dorthin verlegen. Die israelische Regierung jubelt über diese „neue Realität, auf die wir 70 Jahre lang gewartet haben“, so Minister Uri Ariel. Ein Freudentag für Israel also und ein diplomatischer Erfolg von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu?

Oberflächlich betrachtet hat Israel bekommen, was es wollte. Also kann die Regierung einen Erfolg feiern, während den Palästinensern nichts anderes übrig bleibt als ihre Wut.

Doch das ist ein Irrtum.

Der Nahost-Konflikt ist trotz gelegentlicher, manchmal auch heftiger Gewaltausbrüche im Kern ein Kampf um die internationale Meinung. Israelische Regierungsvertreter zeigen sich seit Jahren alarmiert über das negative Image ihres Landes im Ausland. Immer neue Versuche des „nation-branding“ zeitigen regelmäßig dieselben erbärmlichen Resultate. Der Generaldirektor des israelischen Ministeriums für Strategische Angelegenheiten, Sima Vaknin, sagte laut der Tageszeitung „Haaretz“ im vergangenen Jahr gegenüber Abgeordneten, Israel werde in der internationalen Gemeinschaft als „Paria-Staat“ angesehen.

Zu jedem vernünftigen Konsens gibt es eine Antithese, und die wohnt im Weißen Haus.

Wenn nun Ministerpräsident Netanjahu in der eminent wichtigen, weil symbolisch aufgeladenen Jerusalem-Frage Donald Trump als einzigen Verbündeten aufbieten kann, erweist sich der vermeintliche Erfolg in Wahrheit als weiteres diplomatisches PR-Desaster.

Der Jerusalem-Coup hat die Angst vor einem Aufwallen der latenten Krise im Nahen Osten geschürt. Verantwortlich dafür sind Trump und Netanjahu – und das, nachdem die israelische Regierung in den vergangenen Jahren keine Gelegenheit ausgelassen hat, mit ihrer Siedlungspolitik alle (potenziellen) Vermittler vor den Kopf zu stoßen.

In Trump hat Netanjahu einen Partner gefunden, der – anders als dessen Vorgänger Barack Obama und der Rest der Welt – den Bau von Siedlungen in den besetzten Palästinensergebieten nicht so schlimm findet. „Ich denke, die Siedlungen sind ein Teil von Israel“, sagte David Friedman, US-Botschafter in Israel, vergangenen September entgegen allen bisherigen Positionen der USA.

Trump sei „pro-israelisch“, lautet die größte Fehlinterpretation der Vokabel „pro-israelisch“. Der Mann, der eben ein Einreiseverbot für Bürger von sechs überwiegend islamischen Staaten („Muslim Ban“) durchgebracht und mit der Jerusalem-Entscheidung jegliche Chance verspielt hat, als Vermittler im Nahost-Konflikt ernst genommen zu werden, treibt Israel in Wahrheit nur noch weiter in die Isolation. Ministerpräsident Netanjahu bemühte sich vergangene Woche, weitere Verbündete in der Hauptstadtfrage zu finden. Einziger ernsthafter Interessent: Rodrigo Duterte, philippinischer Präsident und Serien-Auftraggeber außergerichtlicher Tötungen.

Die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt durch die USA mag „historisch“ sein, sie ist ganz bestimmt nicht „pro-israelisch“. Pro-israelisch wäre vielmehr alles, was Israel einer Aussöhnung mit den Palästinensern einen Schritt näher bringt.

War Trumps Geste ein Danaer-Geschenk? Nicht ganz, denn erstens handelte Trump nicht in böser Absicht, sondern in grober Ignoranz, und zweitens kapiert Netanjahu nicht, dass das Präsent Unheil stiftet.

Das verhindert das Verhängnis jedoch nicht.

[email protected] Twitter: @robtreichler

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur