Leitartikel

Leute kleben auf der Fahrbahn!

Und jetzt zu etwas Wichtigem.

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Eine Windschutzscheibe gewährt lediglich einen Blick auf einen sehr kleinen Ausschnitt der Welt. Das ist freilich kein Grund, wegzusehen, schon allein aus Gründen der StVO. Und säßen vor meinem Auto plötzlich ein paar Leute auf der Fahrbahn, festgeklebt und entschlossen, meine Weiterfahrt zu vereiteln, so würde ich vermutlich erst leise, dann lauter fluchen und innerlich die Polizisten anfeuern, die diese Typen abtransportieren und ihnen Anzeigen verpassen. Vielleicht ließe ich mich gar dazu hinreißen, schlimmere Strafen zu fordern, jedenfalls bis zur nächsten grünen Ampel.

Weil der Blick durch die Windschutzscheibe jedoch wie eingangs erwähnt ein schrecklich limitiertes Weltbild begünstigt, sollte man meine unmittelbaren Emotionen und Auslassungen getrost ignorieren. Für die Zusammenschau auf das große Ganze jenseits der Windschutzscheibenperspektive leisten wir uns gut bezahlte, demokratisch gewählte Repräsentantinnen und Repräsentanten, die, den Chauffeuren sei Dank, nicht hinter dem Steuer sitzen müssen und stattdessen einen Blickwinkel einnehmen können wie die der Vögel oder noch höher. Sie sollten also mehr sehen.

Sie, die Mitglieder der Bundesregierung und der Landesregierungen, sollten erkennen, dass die Frage, wie man mit nicht einmal zwei Dutzend Personen verfahren soll, die sich unangemeldet auf Fahrbahnen festkleben, eine unbedeutende ist. Es ist ein Problem im Ausmaß eines Schlaglochs auf der Autobahn von hier zu einer besseren Welt. Mit dem Begriff „Autobahn“ ist hingegen das Stichwort gefallen, das auf ein unvergleichlich größeres Problem hinweist: Wie kriegen wir den CO2-Ausstoß in den Griff?

Die Klimakleber, die sich von der FPÖ „Klimaterroristen“ schimpfen lassen müssen, verlangen die Einführung eines Tempolimits von 100 km/h auf Autobahnen. Und um dieser Forderung Publizität zu verschaffen, muss man sich in Österreich auf Fahrbahnen festkleben?

Dass Tempo 100 sinnvoll ist, bestätigt das Umweltbundesamt, eine Institution im Eigentum der Republik.

Dass eine Temporeduktion im Straßenverkehr sinnvoll ist, bestätigt das Umweltbundesamt, eine Institution im Eigentum der Republik: „Die Treibhausgasemissionen lassen sich bei Tempo 100 im Vergleich zu Tempo 130 um knapp ein Viertel reduzieren.“

Was spricht dagegen? 

Die Einwände, die etwa Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm vergangene Woche in einem Streitgespräch mit der Klimakleberin Martha Krumpeck in der „ZIB 2“ vorbrachte, sind rasch aufgezählt: Sie wolle „weniger mit Verboten arbeiten“, sagte Plakolm. Nun, die Höhe eines Tempolimits herabzusetzen, ist kein zusätzliches Verbot. Im gesamten Osten der USA, dem Land of the Free, gilt auf Highways ein Tempolimit von maximal 70 Meilen pro Stunde (113 km/h), in einigen Bundesstaaten gar 65 (104 km/h).

Plakolms zweiter Einwand: Auf 40 Prozent der Autobahnstrecken dürfe bereits jetzt nicht schneller als 100 km/h gefahren werden. Damit widerlegt sie gleich einmal ihr vorheriges Argument, wonach Tempo 100 ein neues, zusätzliches Verbot sei, und fügt dem auch nichts Relevantes hinzu: Weshalb sollte man auf die Reduktion der Treibhausemissionen auf 60 Prozent der Strecken verzichten, wenn es auf den bestehenden 40 Prozent bereits klaglos klappt?

Es macht keinen Spaß, langsamer zu fahren und länger im Auto zu sitzen. Gibt es weniger nervende Alternativen, die eine vergleichbare Menge an CO2 einsparen?

Das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) hat errechnet, dass Österreich derzeit weit entfernt davon ist, seine Klimaziele zu erreichen. Ein Tempolimit wäre hilfreich, wenn auch keine hinreichende Lösung. Falls jedoch der Bundesregierung ein besserer Vorschlag einfiele, ließe sich ein Tempolimit jederzeit ebenso umstandslos wieder erhöhen, wie es gesenkt werden kann.

Die Klimakrise hängt nicht an einer einzigen Maßnahme. Doch wie die ÖVP als Regierungspartei mit diesem Thema verfährt, ist entlarvend. Vorschläge wie diesen einfach abzublocken, weil sich die Mehrheit der Wähler in Umfragen dagegen ausspricht, ist Politik mit Windschutzscheibenhorizont. Es würde schon reichen, wenn die ÖVP sich der Interessen ihrer ureigensten Klientel besinnt – der Hoteliers und der Bauern. Die Cover-Story dieser profil-Ausgabe beschreibt die traurigen Aussichten des Wintertourismus angesichts des immer laueren Winterwetters. Werden sich die Hoteliers dereinst bei der ÖVP artig dafür bedanken, dass ihre früheren Gäste mit Tempo 130 in Richtung anderer Urlaubsziele unterwegs sind?

Es braucht keine übermäßige politische Weitsicht, um den Vorschlägen des Umweltbundesamtes und aller anderen Experten zu folgen. Was die Regierung bräuchte, wäre ein wenig Mut und Glauben an die eigene Überzeugungskraft, uns Autofahrern klarzumachen, dass eine Klimaschutzmaßnahme, die uns auf der Strecke von Wien nach Graz 22 Minuten kostet, sinnvoll ist.

Die Grünen, die Tempo 100 seit Langem befürworten, sollten ihre Resignation bezüglich der Durchsetzbarkeit wieder ablegen. Die ÖVP sollte sich ihrer Tugend besinnen und Tempo 100 zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes in der Wintersaison forcieren. Und der verantwortungsvolle Teil der Opposition sollte zustimmen.

Und die Klimakleber? Können aufstehen und gehen. 

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur