Robert Treichler: Liebe Deutsche!
Bestimmt sehnt Ihr Euch ein paar Tage nach einem Wahlsonntag, an dem die Alternative für Deutschland in Sachsen ihr bundesweit bestes Landtagswahlergebnis eingefahren hat (und in Brandenburg ihr drittbestes), nach ein bisschen Klugscheißen aus Österreich. Nein, tut Ihr nicht. Ihr seid verständlicherweise einerseits ein wenig geschockt, andererseits ein wenig erleichtert darüber, dass die AfD wenigstens in keinem der Länder auf Platz eins gelandet ist. Und es gruselt Euch, wenn der AfD-Parteivorsitzende Jörg Meuthen sich als „strahlenden Wahlsieger“ bezeichnet und seine Partei sich nun stark genug fühlt, Regierungsverantwortung zu übernehmen – und dies mit Zahlen belegt. Aber Ihr haltet es nicht für möglich, dass die AfD tatsächlich in einer Regierung sitzen könnte, nicht in einem Land und noch weniger im Bund. Und außerdem: Beschränken sich die AfD-Triumphe nicht ohnehin auf den Osten?
Wir kennen das. Was Euer Osten ist, war für uns Kärnten. Historische Umstände – bei Euch die DDR, bei uns ein instrumentalisierter Volksgruppenkonflikt – führten zu nationalistischen Überreaktionen. Plötzlich war Jörg Haider Landeshauptmann, die FPÖ in Kärnten stimmenstärkste Partei. Dann ging es rasch: 2000 holte ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel die FPÖ in die Bundesregierung, 2017 tat Sebastian Kurz es ihm gleich.
Die gute Nachricht: Das heißt noch lange nicht, dass die AfD dieses Ziel je erreichen wird. Die schlechte Nachricht: Es gibt kein Rezept dafür, sie auf diesem Weg zu stoppen. Außerdem kann eine Strategie, die in einem Land funktioniert, in einem anderen auch versagen.
Von wem, liebe Deutsche, könnt Ihr etwas lernen? Und was?
Zum Beispiel von Frankreich. Dort stoppte Staatspräsident Emmanuel Macron den Aufstieg der Rechtspopulistin Marine Le Pen kurz, als diese bereits scheinbar unaufhaltsam an die Macht drängte. Macron spielte drei Trümpfe aus: Er gründete auf spektakuläre Weise eine neue Bewegung. Er verkörperte glaubhaft eine enorme Dynamik, das Land reformieren zu wollen. Und er schlug Le Pen in einer TV-Debatte vernichtend. Damit vermied Macron den Anschein politischer Langeweile, des Stillstands und des bloßen Verteidigens des Althergebrachten.
Ähm, sagt mal, CDU und SPD, habt Ihr bei der Auswahl Eures Spitzenpersonals schon mal kurz daran gedacht, dass „Warum nicht, ist doch ganz nett?“ und „Die werden das schon hinkriegen“ möglicherweise keine Garantien für Bestseller sind? Ihr könnt jeden Tag dankbar sein, dass die AfD keine Marine Le Pen und keinen Matteo Salvini hat, sondern bloß Jörg Meuthen und Alexander Gauland.
Eine rechtspopulistische Episode wäre in Deutschland, der größten Nation der Europäischen Union, anders als in kleineren Staaten ein Desaster für die ganze Gemeinschaft.
Aus Italien könnt Ihr etwas vom Fall des Beinahe-Ministerpräsidenten Matteo Salvini lernen: Es ist keine Schande, ein wenig kuriose Koalitionen einzugehen, um besonders bedrohliche Regierungen zu verhindern. Allerdings sollte dann auch für, sagen wir mal, Schwarz-Rot-Grün gelten: Die AfD draußen zu halten, ist noch kein hinreichendes Regierungsprogramm.
Großbritannien bietet mit Boris Johnson und Nigel Farage ebenfalls Anschauungsstoff: Die Demokratie endet nicht nach einer Abstimmung. Seit dem Referendum 2016 ist immer klarer geworden, wie unausgegoren die Idee des Austritts war und wie planlos dessen Befürworter agieren. Also: Dagegenhalten, wo immer es die Demokratie zulässt!
Und schließlich könnt Ihr von allen genannten und auch von Österreich lernen: Stabilität ist keine der großen Stärken rechtspopulistischer Disruptionisten. Sie fordern Blödsinniges (Le Pen etwa mal den Austritt aus dem Euro), sie versprechen Unhaltbares (Nigel Farage etwa mehr Geld für das Gesundheitssystem dank des Brexit), oder sie entdecken in einer Sommernacht auf einer spanischen Finca ein Selbst, von dem sie bis dahin nach eigenem Bekunden nichts gewusst hatten (Heinz-Christian Strache bei der Ansicht seines Ich im Ibiza-Video). Mit anderen Worten: Der Rechtspopulist ist von der Tendenz her ein One-Hit-Wonder – wenn auch eines mit Comeback-Trieb. Das sollte Euch als Wählerschaft zu denken geben.
Bisher macht Ihr das gut, liebe Deutsche! Nach den jüngsten Wahlerfolgen der AfD wähnten sich die Rechtsrechten bereits in einer „bürgerlichen Regierungskoalition“. Darauf antwortete der CSU-Politiker Bernd Posselt: „Die AfD-Führungsleute sind entweder mühsam getarnte Rechtsradikale oder ewig gestrige Nationalisten.“ Und Manuela Schwesig von der SPD wies die Möchtegerns trocken zurecht: „Sie sind nicht bürgerlich!“
Niemand kann von Euch Deutschen erwarten, der Versuchung des Rechtspopulismus gänzlich zu widerstehen. Einen Vorteil habt Ihr: Die beklagenswerten Vorlagen, die Rechtspopulisten in anderen Ländern bereits geliefert haben, machen es Euch ein wenig einfacher. Denn Ihr habt zudem eine besondere Verantwortung, und diese liegt nicht nur in der Geschichte, sondern auch in der Gegenwart: Eine rechtspopulistische Episode wäre in Deutschland, der größten Nation der Europäischen Union, anders als in kleineren Staaten ein Desaster für die ganze Gemeinschaft.
Ihr schafft das. Ihr müsst das schaffen!
[email protected] Twitter: @robtreichler