Robert Treichler: Das Obama-Trudeau-Komplott

Robert Treichler: Das Obama-Trudeau-Komplott

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Wenn manche Leute am Himmel Streifen ausmachen, erkennen sie ganz deutlich Chemtrails. Wenn andere am Horizont ein Freihandelsabkommen ausmachen, erkennen sie ganz deutlich einen neoliberalen Angriff auf die Demokratie. Die Frage der Chemtrails wollen wir vorerst außer Acht lassen, im Zentrum der politischen Debatte steht derzeit der Freihandel. Die Handelsabkommen hingegen sind unterschriftsreif – CETA zwischen Kanada und der EU –, weit fortgeschritten – TTIP zwischen den USA und der EU –, oder erfahren eben einen Neustart – die Verhandlungen über einen Vertrag zwischen der EU und den südamerikanischen Mercosur-Staaten.

In einigen Ländern, darunter Österreich, wurde der Verdacht, die Handelsabkommen seien zum Schaden von Arbeitern, Konsumenten, Bürgern und Umwelt konstruiert, längst zur Gewissheit. Doch die jahrelangen Bemühungen um TTIP, CETA und andere sollen nicht umsonst gewesen sein. Sie sollen uns als anschauliches Beispiel dienen, um die Mechanismen neoliberaler Anschläge auf das Wohl unserer Gesellschaft zu studieren.

Bitteschön:

Zunächst bedarf es ausreichend gewissenloser Politiker, die ein solches Projekt unter listiger Missachtung der Interessen der Bürger befürworten. Die da wären:

US-Präsident Barack Obama, in dessen Amtszeit TTIP verhandelt wurde, und der es – wenn es nach ihm geht – noch vor dem Ende seiner Amtszeit in diesem Jahr unterzeichnen möchte.

Kanadas Premierminister Justin Trudeau, der Anfang dieses Jahres über CETA sagte: „Das ist eine wichtige Gelegenheit sowohl für Kanada als auch für Europa, und ich freue mich darauf, es zur Unterschrift zu bringen.“

Uruguays Präsident Tabaré Vázquez, dessen Land derzeit den Mercosur-Vorsitz innehat, genehmigte den Kickstart der neuen Verhandlungen mit der EU, die am 8. April vereinbart wurden.

Vázquez ist Mitglied des uruguayischen Parteienbündnisses Frente Amplio (Breite Front), das aus einer Vielzahl von Gruppierungen besteht, darunter die Kommunistische Partei, die Sozialistische Partei, der linke Flügel der Christdemokratie und Organisationen der radikalen Linken.

Einer der Befürworter eines Handelsabkommens der Mercosur-Staaten mit der EU war in der Vergangenheit der damalige Staatspräsident Brasiliens, Luiz „Lula“ da Silva, Mitglied der linken Arbeiterpartei.

Vázquez und Lula als verkappte Neoliberale zu enttarnen, war eine Frage der Zeit.

Trudeau wiederum ist Multikulti-Befürworter, Flüchtlingsfreund und Feminist, da liegt es nahe, ihn auch mit dem gezielten Abbau von Sozial- und Umweltstandards in Zusammenhang zu bringen, der durch CETA erreicht werden soll.

Obama schließlich gewann bekanntlich beide Wahlen zum US-Präsidentenamt auf einem ultra-liberalen „Corporate-America“-Ticket und als Kandidat der Wall Street. Gelegentlich wird er mit Mitt Romney verwechselt. Auf europäischer Seite war die Zustimmung der (damals) 27 Staats- und Regierungschefs erforderlich, allesamt Verfechter eines Turbo-Kapitalismus.

Als Nächstes brauchte man einen ausgeklügelten Plan, wie das Abkommen an den demokratischen Institutionen vorbei Wirksamkeit erlangen könnte.

Der geht so: Der auf Basis eines (mittlerweile veröffentlichten) Verhandlungsmandates zwischen den USA und der EU ausverhandelte Text des fertigen Abkommens wird an alle Regierungen der Europäischen Union und an das Europäische Parlament übermittelt. Sowohl das Parlament als auch alle Regierungen müssen ihre Zustimmung geben. In mehreren Staaten wird zusätzlich auch das nationale Parlament darüber abstimmen. Der gesamte Text wird im Übrigen auch online gestellt.

Nur wenn alle genannten Institutionen mehrheitlich mit Ja stimmen, kann TTIP, CETA oder jedes andere vergleichbare Abkommen Geltung erlangen. So funktioniert die Ausschaltung der Demokratie.

Nur du, glückliches Österreich, hast ein Amt, dessen Träger TTIP niemals wahr werden lassen wird: das Bundespräsidentenamt. Sollte nämlich das EU-Parlament dem Freihandelsabkommen mit den USA zustimmen, sollten in weiterer Folge alle Regierungen der EU, das Weiße Haus und der Kongress, sowie am Ende auch noch der österreichische Nationalrat den Staatsvertrag befürworten, dann wird ein Mann in der Hofburg Geschichte schreiben und den Vertrag über den größten Freihandelsraum der Welt ganz allein zu Fall bringen.

Dieser Mann kann Norbert Hofer oder Alexander Van der Bellen heißen, das macht politisch in dieser Frage erstaunlicherweise keinen Unterschied. Jeder der beiden wird nach eigenem Bekunden seine Unterschrift unter dem Vertrag verweigern und somit, wenn sich diese Gelegenheit ergeben sollte, den bedeutungsvollsten globalpolitischen Akt setzen, zu dem ein österreichischer Bundespräsident je in der Lage war. Allein gegen einen Wirtschaftsraum von 800 Millionen Menschen.

Geschafft. Jetzt zu den Chemtrails.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur