Robert Treichler: Die Panama-Irrtümer
Daten lügen nicht. profil hat keine Möglichkeit, die 2,6 Terabyte an Dokumenten der sogenannten Panama Papers einzusehen, doch wir hegen keinerlei Verdacht, dass die Kollegen von „Süddeutsche Zeitung“, „Falter“, ORF et al. ihre Arbeit nicht professionell und korrekt gemacht, geschweige denn die Daten zur Manipulation genutzt hätten. Wir wissen auch nicht, was in den kommenden Tagen und Wochen noch an relevanten Informationen zutage gefördert werden wird. Doch was die Welt bislang erfahren hat, ist von eminentem Interesse. Es führt allerdings auch zu erstaunlichen Missverständnissen. Hier sind vier davon.
1. Die Eliten haben versagt. Die „Financial Times“ schreibt, die Panama Papers bewiesen, wie sich die „globale Elite“ der Steueroasen bediente. Sehen wir uns diese „globale Elite“ doch mal genauer an. Gefunden wurden Hinweise auf Offshore-Konten, die folgenden Personen zugeordnet werden: Freunden des russischen Präsidenten Wladimir Putin; mehreren Verwandten von Mitgliedern des Politbüros der chinesischen Kommunistischen Partei; Petro Poroschenko, dem Staatspräsidenten der Ukraine; Islands (mittlerweile zurückgetretenem) Premier Sigmundur David Gunnlaugson; Juan Pedro Damiani, uruguayischem Mitglied der Ethik-Kommission des Fußball-Weltverbandes FIFA; König Salman ibn Abd al-Asis von Saudi-Arabien; weiteren Politikern oder deren Angehörigen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, Syrien, Pakistan, Aserbaidschan, Georgien, Argentinien und Malaysia.
Der einzige Politiker der Europäischen Union, der mit den Panama Papers in Zusammenhang gebracht werden konnte, ist Großbritanniens Premier David Cameron (wenn man von der Gattin eines EU-Kommissars absieht). Cameron gab nach längerem Herumdrucksen zu, bis zum Jahr 2010 Anteile an einem Panama-Fonds seines inzwischen verstorbenen Vaters gehalten zu haben. Wert laut Camerons Angaben: umgerechnet rund 37.000 Euro. Cameron sagt, er habe die Erlöse ordnungsgemäß versteuert.
Fehlt da jemand? Allerdings. Bisher findet sich in den Panama Papers sonst kein Hinweis auf einen EU-Politiker. Kein Abgeordneter, kein Staatssekretär, kein Minister. Was sagt das über die Eliten aus? Simple Antwort: Die Eliten in Ländern, die kaum oder gar nicht demokratisch sind oder deren Länder auf dem Korruptionsindex ganz oben rangieren (die FIFA als eine Art transnationaler Schurkenstaat spielt in dieser Liga mit), bringen ihren Besitz außer Landes. Die Eliten demokratischer Staaten tun dies – zumindest nach derzeitigem Informationsstand – nicht.
2. Steuerhinterziehung mithilfe von Offshore-Unternehmen ist endemisch. Nicht nur Reiche und Mächtige verstecken ihr Geld in Übersee, berichtet der ORF, „sogar Kleinbetriebe bunkern in Steueroasen ihr Geld“. Das „Hamburger Abendblatt“ sieht in den Panama Papers einen weiteren Beweis, an der „Solidarität der Besserverdiener“ zu zweifeln. Die Zweifel mögen begründet sein, die Daten belegen dies allerdings nicht. „An die 80 Klein- und Mittelbetriebe“ haben die ORF-Journalisten in den 2,6 Terabyte gefunden, darunter einen Apotheker, einen Bestatter und Autohändler. Das sind lustige Details, aber ein Beweis für das vermutete Offshore-Massenphänomen sieht anders aus. Zum Vergleich: Der jährliche Steuerentgang durch Schwarzarbeit in Österreich beträgt laut Schätzungen mehr als zwei Milliarden Euro.
Niemand kann genau sagen, wie viele Kanzleien in der Art von Mossack Fonseca (dem Zentrum der Panama Papers) es in den Steueroasen dieser Welt gibt. Zu behaupten, dort irgendwo schlummerten die Vermögen der Massen von Besserverdienern aus Österreich, ist kein datengestützter Schluss aus den Panama Papers.
3. Gäbe es Panama nicht, wären die Steuertöpfe voll. Offshore-Aktivitäten dienen häufig der Steuerhinterziehung, also würde deren Verbot unsere Budgets sanieren? Dieser Annahme widerspricht, jedenfalls was Österreich angeht, die relativ geringe Zahl von Staatsbürgern, die Offshore-Firmen besitzt – zumindest laut Panama Papers. Falls jedoch jemand glaubt, der König von Saudi-Arabien trüge sein Vermögen zu Hause in Riad aufs Finanzamt, wenn ihm der Weg nach Panama versperrt wäre, dann hätte die Hoffnung auf sprudelnde Steuerquellen etwas für sich.
4. Die kleinen Leute haben gegen die Lobby der Reichen keine Chance. Das Gegenteil ist der Fall. Zumindest in Europa ist der Besitz von Offshore-Konten augenscheinlich geächtet. David Cameron ist dafür ein gutes Beispiel. Ihm musste gar nicht nachgewiesen werden, Steuern hinterzogen zu haben, allein der Umstand, an einem Fonds in Panama beteiligt zu sein, genügte für immensen Druck in der Öffentlichkeit. Das mag im Einzelfall ein wenig unfair sein, dient aber am Ende einem guten Zweck. Die Tatsache, dass sich eine große Zahl an Staaten ab 2017 zu einem automatischen Informationsaustausch über Konten und deren Inhaber verpflichtet hat, zeigt, dass die behauptete Allmacht der Steuerhinterzieher-Lobby offenbar begrenzt ist. Der Kampf gegen Steueroasen ist nur bedingt ein Kampf zwischen superreichen und armen Bürgern, sondern vielmehr einer zwischen Rechtstaatlichkeit und Gesetzlosigkeit.