Kommentar

Papa, was waren „Verbrennungsmotoren“?

Warum Kalifornien fortschrittliche Klimagesetze hat und wir nicht.

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Wir sehen die Bilder aus Pakistan, einem Staat, zehn Mal so groß wie Österreich, der zu einem Drittel unter Wasser steht. Sie gemahnen an biblische Plagen, in Wahrheit aber führen sie uns vor Augen, wie unsere Zukunft aussehen könnte: Wetterkatastrophen, hervorgerufen durch den Klimawandel. In diesem Jahr hat der Sommer mit seinen Überflutungen, Hitzerekorden, Dürren und Waldbränden endgültig seine Unbeschwertheit verloren. Wir werden im Frühling 2023 bange rätseln, wie schlimm es in diesem Jahr kommen wird.

Untergangsstimmung breitet sich aus. Diese nährt eine Weltsicht, die auf einem radikalen Schluss basiert: Unser politisches und wirtschaftliches System – die repräsentative Demokratie und der Kapitalismus – seien prinzipiell ungeeignet, um die Klimakatastrophe zu verhindern. Weil nämlich gewählte Volksvertreter und Volksvertreterinnen vor allem den Erfolg bei der nächsten Wahl im Auge hätten und deshalb langfristige Ziele nachrangig behandelten; und weil der Kapitalismus ausschließlich auf die Maximierung des Profits abziele und auf Folgen für das Klima keine Rücksicht nehme.

Stimmt das?

In diesem Sommer haben sich neben vielen Katastrophen auch noch andere Dinge ereignet, die bei der Beurteilung dieser Frage von Bedeutung sind. Am 7. August beschloss der US-Kongress das weltweit höchstdotierte Klimaschutzgesetz (es heißt irreführenderweise „Inflation Reduction Act“), das 369 Milliarden Dollar für Klimaschutzmaßnahmen bereitstellt. Mehr noch: Das Parlament des Bundesstaates Kalifornien, der fünftgrößten Volkswirtschaft der Welt, hat ein Gesetz beschlossen, das ab 2035 den Verkauf von Autos mit Verbrennungsmotoren verbietet. Damit nimmt Kalifornien die sechs Automobilhersteller, die im vergangenen November bekannt gaben, ab 2040 weltweit und ab 2035 in „führenden Märkten“ keine Benziner mehr anzubieten, beim Wort – und alle anderen unfreiwillig in die Pflicht.

Kapitalistische Konzerne und gewählte Repräsentanten schreiten voran. In 13 Jahren werden kalifornische Kinder von Neuwagenkäufern nicht mehr wissen, was ein Auspuff ist.

Es geht weiter: Als Nächstes will Kalifornien jedem Bewohner, der auf den Besitz eines Autos verzichtet, 1000 Dollar zukommen lassen.

Wer schon mal auf kalifornischen Freeways unterwegs war, weiß, welche Bedeutung das Auto im Golden State genießt. Die Wiener Südosttangente ist vergleichsweise eine Fußgängerzone. Dennoch rast die Klimaschutzgesetzgebung voran und beinhaltet mittlerweile auch ein Gesetz, das Kalifornien bis 2045 zur Klimaneutralität zwingt. Bereits 2035 müssen 90 Prozent des erzeugten Stroms aus erneuerbaren Quellen stammen. Keine Absichtserklärung, sondern eine einklagbare Vorschrift. Ach ja, 54 Milliarden Dollar stehen im Budget bereit, um diese Ziele zu erreichen.

Wie passt all das zur Überzeugung, Kapitalismus und repräsentative Demokratie seien mit Klimaschutz unvereinbar? Gar nicht.

Tatsächlich ist Kalifornien jetzt ein Musterbeispiel dafür, wie unser politisches System auf die Klimakrise reagieren kann: Gavin Newsom, der Gouverneur des Bundesstaates und ein Demokrat, wurde unter dem Eindruck von Naturkatastrophen und der sich immer stärker abzeichnenden Bedeutung der Klimakrise für die Wählerschaft zu der Lichtgestalt im Kampf gegen den Klimawandel. Die öffentliche Meinung erzeugt Druck, dem die Politik folgt – oder folgen muss.

Auch der Kapitalismus trägt das Seine im Kampf gegen die Klimakrise bei. Technologie-Unternehmen arbeiten mit Hochdruck an der Entwicklung von Verfahren, die CO2 aus der Luft filtern, binden und speichern. Sollte das klappen – bisher ist die Technologie wegen der Lagerung des CO2 zudem umstritten –, ließe sich damit ein Teil des Klimaproblems lösen und viel Geld verdienen. Ersteres freut die Menschheit, Letzteres entspricht der Natur des Kapitalismus. Das kalifornische Klima-Gesetz ermöglicht die weitere Forschung und auch Versuche dieser sogenannten CO2- Abscheidungsverfahren.

Allerdings stehen dem leuchtenden Vorbild Kalifornien ziemlich viele Negativbeispiele gegenüber. Alle 49 anderen US-Bundesstaaten, aber auch, sagen wir mal: Österreich. Warum haben wir keine vergleichbaren Gesetze, die Klimaziele vom Status der Absichtserklärungen zu einklagbaren Normen machen? Den Verkauf von Autos mit Verbrennungsmotoren ab einem bestimmten Zeitpunkt verbieten? Den Ausstieg aus dem Individualverkehr per Anreiz subventionieren?

Die Antwort: Nicht das System ist das falsche, sondern die falschen Parteien werden gewählt, oder der öffentliche Druck auf sie ist nicht groß genug. Auch in den USA könnte sich die aktuelle Dynamik in der Klimapolitik rasch umkehren, wenn bei den Kongresswahlen im kommenden November und bei den Präsidentschaftswahlen 2024 die Republikaner siegen. Die politische Lösung: Die Demokraten wählen oder die Republikanische Partei kraft öffentlicher Meinung zu einer Klimawende-Partei machen. (Profi-Tipp: Ersteres ist derzeit weitaus vielversprechender, aber auch Parteien haben schon ihre Dogmen über Bord geworfen.)

Und in Österreich? Ist die Öffentlichkeit immer noch viel zu teilnahmslos. Die Demokratie gibt uns alle Mittel an die Hand. Wir müssen sie nur einsetzen.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur