Robert Treichler: Vier Augen und ein Tweet
Die jeweiligen Einträge im Buch der Geschichte zu den Personen Donald Trump und Kim Jong-un werden nicht als durchgängige Elogen ausfallen, doch seit vergangenem Donnerstag muss bei beiden das Kapitel „Außenpolitik“ neu geschrieben werden. US-Präsident Trump und Nordkoreas Diktator Kim ließen ihre südkoreanischen Gesprächspartner verlautbaren, dass sie zu einem historischen Gipfeltreffen bereit seien. Die beiden sollen bereits im Mai beabsichtigen, das zu tun, was noch keiner ihrer Vorgänger gewagt (oder für richtig befunden) hat: Einander treffen.
Der Führer der Supermacht setzt sich mit dem Führer des Landes an einen Tisch, das entgegen allen internationalen Regeln Atomwaffen baut und damit die Welt bedroht. Die Bilder dieses Ereignisses werden spektakulär sein. Zwei der mächtigsten Männer der Welt, zugleich zwei der seltsamsten, unberechenbarsten, selbstbewusstesten und meistgehassten, jeder auf seine Art; einer repräsentiert die freie Welt, der andere die finsterste Diktatur. (Und das Faszinierendste: Donald Trump wird die Geschichtsmächtigkeit dieses Augenblicks in einem einzigen Tweet zusammenfassen.)
Im vergangenen Jahr hat Nordkorea 23 Raketentests durchgeführt und die Entwicklung von nuklearen Sprengköpfen vorangetrieben, der Streit darüber eskalierte und gipfelte in Trumps Warnung, Nordkorea werde „auf Feuer und Zorn stoßen, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat“. Dass Kim nun Atom- und Raketentests aussetzt und an den Verhandlungstisch kommt, wertet die französische Tageszeitung „Le Monde“ als „unleugbaren Erfolg von Donald Trump“.
Ist der historische Moment, der auf die Welt zukommt, also ein Grund zur Freude oder ein unverzeihlicher Fehler?
Man kann es auch anders sehen. Der britische „Telegraph“ etwa urteilt, Kim habe Trump nun „genau da, wo er ihn haben wollte“. Aus der Perspektive des nordkoreanischen Diktators nämlich ist das Gipfeltreffen ein immenses Zugeständnis – eine Begegnung auf Augenhöhe. Trumps Vorgänger waren allesamt davor zurückgeschreckt, dem jeweiligen nordkoreanischen Präsidenten diesen Erfolg zu gönnen, ohne dafür substanzielle Zugeständnisse zu bekommen.
Ist der historische Moment, der auf die Welt zukommt, also ein Grund zur Freude oder ein unverzeihlicher Fehler? Eher Ersteres, allerdings mit dem Vorbehalt, dass man von dem Treffen kein allzu konkretes Ergebnis erwarten sollte. Donald Trump ist ein Hitzkopf und hält sich für einen grandiosen Verhandler. Seine Hitzköpfigkeit hat er schon mehrmals unter Beweis gestellt, für herausragende Verhandlungsergebnisse fehlen die Belege noch. Doch wenn Trump vorerst beschlossen hat, als Friedensverhandler in die Geschichte eingehen zu wollen, dann ist das von beiden Optionen jedenfalls die bessere.
Es sieht nicht danach aus, als entspränge die überraschende Wendung einer lange überlegten Strategie des Weißen Hauses. Auch Bill Clinton, George W. Bush oder Barack Obama hätten Kim Jong-un oder dessen Vorgänger Kim Jong-il und Kim Il-sung treffen können. Im Falle Clintons hatte es sogar schon danach ausgesehen, am Ende entschied sich der US-Präsident jedoch dagegen. Zu vage schienen die Aussichten auf einen ernsthaften Dialog.
Im besten Fall wäre das historische Gipfeltreffen der Auftakt zu langwierigen, regelmäßigen Gesprächen über die Stilllegung des nordkoreanischen Atomprogramms. Daran beteiligt sein sollten neben den USA und Nordkorea auch die weiteren bisherigen Mitglieder der Sechs-Parteiengespräche – China, Russland, Japan und Südkorea. Am Ende dieses Prozesses würde das Land dem Atomwaffensperrvertrag beitreten (dessen Mitgliedschaft es 2003 aufgekündigt hat) und einem detaillierten Abkommen zustimmen, das strenge Kontrollen durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) vorsieht.
Das würde einen lobenden Abschnitt im Buch der Geschichte rechtfertigen.
Hm, dieses Szenario klingt verdächtig nach … dem Iran-Deal, den Donald Trump für einen „schrecklichen Fehler“ hält. Hier endet jegliche Hoffnung auf eine ernsthafte Lösung des Konflikts in der Amtszeit des 45. US-Präsidenten. Nicht, dass es einfach wäre. Auch seine Vorgänger konnten Nordkorea nicht zur Vernunft bringen. Doch Trumps Herangehensweise taugt nicht für komplexe, sensible Situationen. Das hat er bereits im Nahostkonflikt bewiesen, als er im vergangenen Dezember Jerusalem als israelische Hauptstadt anerkannte. Damit stieß er die Palästinenser (und die Europäische Union sowie die Vereinten Nationen) vor den Kopf und machte die ohnehin schon unsagbar vertrackte Situation noch ein Stück aussichtsloser.
Doch selbst die realistische Erwartung, dass die Trump-Kim-Gespräche keinen Fortschritt bringen werden, macht diese deshalb nicht gänzlich sinnlos:
1. Die Phase der Eskalation ist zumindest vorerst beendet. 2. Die Ausweitung der Gespräche auf die Sechser-Runde könnte mehr Substanz in die Verhandlungen bringen. 3. Der Prozess, der in Gang kommen könnte, würde die Amtszeit von Donald Trump überdauern.
Und es ist nicht auszuschließen, dass am Ende – unter dem nächsten US-Präsidenten – ein Nordkorea-Atomabkommen steht, das Donald Trump zwar weder gutgeheißen hätte und schon gar nicht unterzeichnen würde, das aber auf ihn zurückginge. Das würde einen lobenden Abschnitt im Buch der Geschichte rechtfertigen.
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