Robert Treichler: Achtung, Reklame!

Viktor Orbán schaltet neuerdings europaweit Inserate. Soll man die abdrucken? Aber ja doch.

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Viktor Orbán, demokratiepolitisch eher übel beleumundeter Ministerpräsident Ungarns, will uns Europäern etwas mitteilen und wählt als Kommunikationskanal die bezahlte Anzeige. Umgehend ist eine Debatte darüber losgebrochen, ob es legitim ist, die „Vorschläge“ eines Politikers abzudrucken, der im eigenen Land Demokratie, Medienfreiheit und Menschenrechte missachtet.

Ehe wir ein Urteil fällen, sehen wir uns Orbáns sieben Vorschläge doch einmal Punkt für Punkt an.

„1. Brüssel errichtet einen Superstaat, zu dem niemand die Ermächtigung gegeben hat. Wir sagen Nein zu dem europäischen Imperium.“

Orbán hätte anstelle eines Inserats besser eine Eingabe beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) verfasst, wenn ihn die Sorge plagt, dass irgendetwas ohne rechtliche Grundlage errichtet wird. Der EuGH prüft derlei verlässlich seit 1952. Vermutlich ahnt Orbán jedoch, dass seine vage Behauptung ohne jeden Beleg für eine Anfechtung vor dem Gericht nicht reicht.

„2. Die Integration ist ein Mittel und kein Selbstzweck. Deshalb muss man aus den Grundlagenverträgen der Europäischen Union die Zielsetzung der ‚immer engeren Einheit zwischen den Völkern Europas‘ streichen.“

Nachdem er in Punkt eins kühn behauptet, in der EU schreite man „ohne Ermächtigung“ voran, dämmert es Orbán in Punkt zwei, dass ihm einer der wesentlichen Grundsätze der EU-Verträge nicht passt. Die konkrete Formulierung der „immer engeren Einheit“ war Bestandteil der Römischen Verträge von 1957, der feierlichen Deklaration zur Europäischen Union von 1983, der Einheitlichen Europäischen Akte von 1987 sowie der Verträge von Maastricht (1992), Amsterdam (1997), Nizza (2001) und Lissabon (2009). All diese Verträge wurden einstimmig beschlossen, und als Ungarn 2004 der EU beitrat, akzeptierte es dieses Vertragswerk. Den Vertrag von Lissabon ratifizierte das ungarische Parlament – übrigens als erstes Land der Union – mit der überwältigenden Mehrheit von 325 gegen 5 Stimmen und 14 Enthaltungen. Orbáns Fidesz-Partei verfügte damals über 141 Stimmen.

Und jetzt, nach 17 Jahren EU-Mitgliedschaft, fällt Orbán ein, dass ihm eines der Gründungsversprechen nicht behagt? Tja. Aber natürlich kann Ungarns Ministerpräsident eine Passage aus den EU-Verträgen entfernen lassen – allerdings nur per Einstimmigkeit.

„3. Die Entscheidungen sollen die gewählten führenden Politiker und nicht die NROs (Anm.: Nichtregierungsorganisationen) treffen! Wir sagen Nein zur Auslagerung des Rechtsstaates.“

Diese Forderung ist gänzlich unproblematisch und seit jeher erfüllt.

„4. Die Kraft der europäischen Integration geben die gemeinsamen wirtschaftlichen Erfolge. Wenn wir gemeinsam nicht erfolgreicher sein können als jeder für sich selbst, dann ist dies das Ende der Europäischen Union.“

Wer sollte besser über den wirtschaftlichen Erfolg der EU Bescheid wissen als der Ministerpräsident eines Landes, dessen Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt sich seit dem EU-Beitritt verdoppelt hat und das als Nettoempfänger pro Jahr mehr als fünf Milliarden Euro Unterstützung bekommt?

„5. Das kommende Jahrzehnt wird das Zeitalter gefährlicher Herausforderungen sein: Die massenhafte Migration und Pandemien drohen. Wir müssen die europäischen Menschen schützen.“

Es geht sogar besser: Die EU schützt nicht nur die eigenen Bürger, sondern gewährt auch Verfolgten gemäß der Menschenrechtskonvention Schutz.

„6. Wir müssen die europäische Demokratie wiederherstellen. Das Europäische Parlament hat sich als Sackgasse erwiesen. Es vertritt ausschließlich die eigenen ideologischen und institutionellen Interessen. Man muss die Rolle der nationalen Parlamente vergrößern.“

Die europäische Demokratie entwickelt sich prächtig, eine bedauerliche Ausnahme dabei ist Ungarn. Das Europäische Parlament vertritt im Sinne des freien, demokratischen Mandats die Interessen, die es für richtig hält. Für alle Wünsche nach einer Reform der Institutionen gilt – wie oben beschrieben – das Einstimmigkeitsprinzip.

„7. Serbien muss als Mitgliedsstaat in die Europäische Union aufgenommen werden.“

Das ist das Ziel der Beitrittsverhandlungen, die seit 2014 laufen. Voraussetzung ist eine Normalisierung der Beziehungen Serbiens zu Kosovo.

Fazit: Manches, was Orbán vorschlägt, ist längst Realität, seine Erwartungen, wie sehr er die EU verändern kann, sind jedoch illusionär. Aber wer im Kreis des EU-Rats mit seinen Wünschen kein Gehör findet, kann gern Inserate schalten.

Die Tageszeitung „Die Presse“ hat Orbáns Inserat ebenso veröffentlicht wie andere Zeitungen in Europa. Viele haben die Publikation abgelehnt. Ich halte das Vorgehen der – in der Europa-Berichterstattung untadeligen – „Presse“ für richtig. Orbán hat das Recht, seine – gelinde gesagt krausen – Ideen zu verbreiten. Die EU sollte ihrerseits Inserate in ungarischen Medien schalten, um ihren Standpunkt in der Frage von Rechtsstaatlichkeit, Geschlechtergerechtigkeit und so weiter darzulegen. Würden ungarische Medien dies ablehnen, könnten sie dies nicht mit dem Hinweis tun, dass ungarische Regierungsinserate im Ausland abgelehnt werden.

Im Übrigen fand ich die Lektüre von Orbáns Inserat ausgesprochen unterhaltsam.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur