Robert Treichler: Urbi et Orbán

Überall Probleme mit den Rechten. Respekt den Konservativen! Und ein frommer Wunsch.

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Begriffe können sich nicht wehren. Hören Sie mal hin, was alles unter der Bezeichnung „Volksmusik“ dargeboten wird, und versuchen Sie, die Frage zu beantworten, wo das dafür verantwortliche Volk lebt! Ähnlich ist es zuweilen mit „Journalismus“. Aber da bin ich vielleicht befangen.

Der politisch am heftigsten umkämpfte Begriff der vergangenen Jahre ist „konservativ“, oder synonym verwendet: „bürgerlich“. Das ist durchaus überraschend, denn lange schien es, als hätte ihm die 68er-Bewegung (des vergangenen Jahrhunderts) erfolgreich den Garaus gemacht.  Hat sie nicht. Konservative Parteien regieren in der Mehrzahl europäischer Staaten, das verstaubt anmutende Etikett zieht mehr denn je. Schön für die Konservativen.

Jetzt kommt das Problem. Rechte Bewegungen, die in den vergangenen Jahren entstanden sind, geben sich als Konservative aus – die völkische Partei Alternative für Deutschland (AfD) ist nach der Definition ihres Parteichefs Jörg Meuthen „bürgerlich-konservativ“; auch konservative Parteien, die sich dem Rechtspopulismus zugewandt haben, legen diese Zuschreibung – klarerweise – nicht ab. Wie reagieren die Konservativen darauf?

Im Falle von Konkurrenten wie der AfD betonen sie naturgemäß, dass dies Scharlatanerie sei und keine Gemeinsamkeiten bestünden. Das allerdings müssen sie erst beweisen, denn der Verlockung, ganz rechts Wähler abzuholen, indem man die Gammelpolitik-Angebote der Rechtspopulisten ins Sortiment aufnimmt, sind zumindest vorübergehend schon einige verfallen.

Und was tun mit denen in den eigenen Reihen, die nachhaltig dem Rechtspopulismus und dem autoritären Denken verfallen sind? Die Europäische Volkspartei hat am Mittwoch der abgelaufenen Woche das getan, was ihre Kritiker lange verlangt haben – sie hat Viktor Orbán und seine Fidesz-Partei, die Vertreter der „illiberalen Demokratie“ in Ungarn, de facto vor die Tür gesetzt (auch wenn es formal ein freiwilliger Austritt war).

Dafür verdienen Fraktionschef Manfred Weber und die (Zwei-Drittel-)Mehrheit seiner Abgeordneten Respekt. Es war ein Akt politischer Aufrichtigkeit. Machtpolitische Vorteile ziehen die Konservativen daraus nicht, tatsächlich wird eine der rechten Fraktionen gestärkt.

Mit eigenen Bündnispartnern zu brechen, ist unvergleichlich schwieriger, als Andersdenkenden die Meinung zu geigen, doch es gehört zu den Pflichten einer Gesinnungsgemeinschaft, zu verhindern, dass ihr Label von einem Renegaten missbraucht wird.

Wie wichtig dies ist, illustriert ein Name: Donald Trump. Hätten die Republikaner zeitgerecht – also im Stadium der Vorwahlen – klargemacht, dass der Mann keiner der Ihren ist, wäre den USA viel erspart geblieben.

Dass die ÖVP-Abgeordneten mit Ausnahme des von der Parteiführung ungeliebten Othmar Karas sich bei der Abstimmung innerhalb der EVP-Fraktion Orbán gegen Weber und damit an die Seite des illiberalen Ungarn stellten, ist befremdlich. Ihr Argument lautete – und lautet auch jetzt noch –, dass man im Dialog mehr erreichen könne. Von Fortschritten war jedoch in den vergangenen Jahren keine Spur, im Gegenteil. Die ÖVP ließ nie erkennen, wo sie die Grenze des Zumutbaren zog, und verdammte so die Wertegemeinschaft zur Wertlosigkeit.

Dabei muss man nicht mal konservativ sein, um laut auszusprechen, was am Konservativismus verdienstvoll und wichtig für die Gesellschaft ist: darauf zu achten, das Bewährte nicht leichtfertig zu gefährden, die Freiheiten des Individuums zu schützen, die Ordnung zu sichern … Dass jemand, der die Rechtsstaatlichkeit untergräbt, die Medienfreiheit entsorgt, die liberale Demokratie verspottet, da nicht reinpasst, leuchtet jedem ein.

Der Wunsch scheint ebenso fromm wie erfüllbar: Könnten die Konservativen bitte den Konservativismus bewahren? Dankeschön.

Ein heikler Punkt folgt allerdings noch. Politische Hygiene ist für sich genommen eine gute Sache, noch besser allerdings wird sie, wenn sie das gewünschte Ergebnis bringt. Dass Orbán sich eine neue Fraktion suchen muss, hilft seinen Landsleuten in ihrem Bedürfnis nach Rechtsstaatlichkeit noch nicht weiter. Mit anderen Worten: Die Anstrengungen, Ungarn auf den Weg zu einer liberalen Demokratie zurückzuführen, müssen jetzt erst richtig losgehen. Diese Verantwortung lastet auf allen, nicht nur auf Orbáns früheren Parteifreunden in der EVP.

Die Frage „Was tun mit den Rechten?“ bleibt der politische Denksport des 21. Jahrhunderts. Jede Woche kommt mindestens eine neue Rätselaufgabe dazu. In Italien holt Ministerpräsident Mario Draghi die Lega, die Partei des Rechtspopulisten Matteo Salvini, in seine Koalition. Ist das klug? Die französische Regierung lässt die rechtsextreme „Identitäre Bewegung“ auflösen. Ist das vertretbar? Das Verwaltungsgericht in Köln untersagt dem deutschen Verfassungsschutz – zumindest vorerst –, die gesamte AfD als Verdachtsfall einzustufen. War es ein Fehler, mit diesem Instrument frontal auf die Partei loszugehen?

Wer auf all das eine rasche, einfache Antwort parat hat, möge sie für sich behalten! 

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur