Robert Treichler

Robert Treichler Wir Frustrierten

Wir Frustrierten

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Das Schöne und gleichzeitig ein wenig Beunruhigende an einer öffentlichen Debatte ist, dass niemand vorab sagen kann, wohin sie führt. Im schlimmsten Fall zum Beispiel dahin, wo jemand sagt: „Tepperte Weiber. Behaupten, sie verdienen zu wenig. Dabei kriegen sie eh viel mehr, als sie verdienen.“ profil-Kolumnistin Elfriede Hammerl versetzte sich für ihren Kommentar der vergangenen Woche („Burschen wie mir“, profil 19/2012) in eine Stammtisch­figur, die so doof ist, dass sie nichts kapiert, alles missver­st­eht. Ein im weitesten Sinn belletristischer Beitrag, zum Glück. Diesseits der Fiktion ist seit dem Erscheinen der profil-Coverstory „Die Wahrheit über die Ungleichheit“ (profil 14/2012) von meinem Kollegen Gernot Bauer und mir ohnehin genug los.

Darin stand natürlich nicht, dass Frauen „viel mehr kriegen, als sie verdienen“. Auch nicht, dass sie genug verdienen. Sondern dass sie bei gleicher Arbeit laut Zahlen einer Wifo-Studie beziehungsweise des Deutschen Bundesamts für Statistik um etwa acht bis zwölf Prozent weniger verdienen als Männer.

Es stand auch nirgendwo im Text, dass dieser Wert zu vernachlässigen sei, wohl aber, dass er von Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek und anderen um mindestens 150 Prozent übertrieben wird. Als „ZiB 2“-Moderator Tarek Leitner Heinisch-Hosek nach Erscheinen des profil-Artikels zum Ausmaß der auf Diskriminierung zurückzuführenden Lohnschere befragte, zog sich die Ministerin schließlich auf die Position zurück, dass „jedes Prozent zu viel“ sei. Damit stimmen wir überein.

Die ganze Debatte um den Gender Pay Gap begann emotional, unterhaltsam und gelegentlich ein wenig kindisch. Nicht wenige Leserbriefschreiberinnen kritisierten, dass profil überwiegend männliche Betriebsräte großer Unternehmen zitierte, die erklärten, in ihren Unternehmen gebe es bei gleicher Arbeit keine nennenswerte Diskriminierung. Wir würden uns „bestätigende Aussagen der Männer“ abdrucken, zürnte die Wiener Stadträtin Sonja Wehsely in einem Mail. Nun kann sich profil nicht aussuchen, welches Geschlecht die Betriebsratsvorsitze dominiert. Als das Einkommenstransparenzgesetz im Jänner des vergangenen Jahres im Parlament beschlossen wurde, jubelte die SPÖ-Abgeordnete Gisela Wurm jedenfalls noch, dass bei der Diskriminierung Abhilfe geschaffen werden könne, „wenn die Betriebsräte sich dann die verschiedenen Einkommens­berichte anschauen können“. Plötzlich gelten dieselben ­Betriebsräte in der SPÖ als wenig vertrauenerweckende Chauvis.

Die stellvertretende ÖGB-Frauenvorsitzende Ilse Fetik, eine Betriebsrätin der Erste Bank, warf profil vor, wir seien „an einer ordentlichen Recherche gar nicht interessiert“, bot uns aber ihre Expertise an. Wir fragten nach und bekamen die Antwort, auch in ihrem Unternehmen sei eigentlich alles in Ordnung.

Zumindest in der Formulierung der Verbalattacken scheint sich der Gender Gap geschlossen zu haben: Die Wiener Gemeinderätin Tanja Wehsely schrieb, profil habe sich „offenbar zur Kampfgazette einer frustrierten Männerbewegung“ aufgeschwungen. Eine Bewegung der Frustrierten zu sein, ist das nicht der uralte – immer schon lächerliche – Vorwurf, den männliche Chauvinisten den Frauen machten? Und wenn es denn wahr wäre, dass sich das Ausmaß der Lohnschere über die Jahre kein bisschen verringert hat, weshalb sollten Männer dann frustriert, ängstlich oder wütend sein? (Nebenbei: Wieso sollte es überhaupt frustrierend sein, wenn jemand anders gleich viel verdient?)

Die Frauenorganisation „plattform 20000frauen“ verlangte in einem unverlangt eingesandten Gastkommentar (den profil nicht veröffentlichte), Männer sollten „niemals über Frauendiskriminierung schreiben, denn sie tun das notgedrungenermaßen mit einer sich durch ihre Geschlechtszugehörigkeit und der daraus resultierenden Verortung in der Gesellschaft ergebenden Voreingenommenheit“. Das erinnert stark an Klagen von Männerverbänden, die behaupten, Väter hätten bei gericht­lichen Obsorgestreitigkeiten keine Chance, wenn eine Richterin den Vorsitz führe. Bloß werden solche Vereine im Gegensatz zur „plattform 20000frauen“ nicht vom Frauenministerium und der Stadt Wien subven­tioniert.

Doch abseits solch überspannter Ideen wurden auch zwei ernsthafte Einwände gegen die Grundthese der profil-­Story vorgebracht:
Erstens: Frauen würden für Jobs schlechter bezahlt, die zwar nicht gleich, wohl aber gleichwertig denen der besser bezahlten Männer sind.
Zweitens: Viele Faktoren, die auf den ersten Blick nicht unmittelbare Lohndiskriminierung darstellen – und deshalb bei der Berechnung der Lohnschere abgezogen werden –, seien bei näherer Betrachtung sehr wohl auf eine Benachteiligung der Frauen zurückzuführen.

Zur ersten Forderung nach gleicher Bezahlung für gleichwertige Arbeit ist zu sagen, dass der für Österreich genannte Gender Pay Gap von 25,5 Prozent, der die (um Teilzeit bereinigten) Bruttostundenlöhne der Frauen mit denen der Männer vergleicht, auch für diese Theorie untauglich ist. Der amtliche Gender Pay Gap berücksichtigt nämlich nicht, welchen Job jemand macht, sagt also auch nichts darüber aus, um wie viel Frauen weniger verdienen, die Jobs machen, die denen von Männern gleichwertig sind.
Das ändert nichts daran, dass die Forderung berechtigt ist. Deshalb gilt das Prinzip der gleichen Bezahlung gleichwertiger Arbeiten längst in der EU und auch in nationalen Gesetzen. Bloß tun sich zwei Probleme auf: Wer bestimmt, welche Arbeiten gleichwertig sind? Und wie setzt man durch, dass sie gleich bezahlt werden?

Die Nationalratsabgeordnete Sonja Ablinger schreibt in einem Mail an profil, man könne „Arbeitsanforderungen etwa hinsichtlich Können, Fertigkeiten, Anstrengung, Verantwortung und Umgebungsbedingungen“ miteinander vergleichen und so deren Gleichwertigkeit feststellen. Ablinger liefert auch ein Beispiel: Im Schweizer Kanton Solothurn klagten Krankenschwestern, Ergotherapeutinnen und Hebammen erfolgreich, weil sie im Vergleich zu männlich dominierten Berufen in der Polizei schlechter eingestuft wurden. Das Bundesgericht gab den Klägerinnen 2005 teilweise Recht, die Gehälter wurden rückwirkend erhöht.

Dieser Fall hatte für das Gericht den Vorteil, dass die Berufe der Klägerinnen und die zum Vergleich herangezogenen Jobs demselben Besoldungssystem unterlagen und alle denselben Arbeitgeber hatten, nämlich die öffentliche Hand.

In der österreichischen Debatte gelten neben anderen die schlecht bezahlten Kindergärtnerinnen und Altenpflegerinnen als prototypischer Fall weiblicher Lohndiskriminierung gegenüber Männern in bessergestellten Berufen. Hier könnte die öffentliche Hand tatsächlich Abhilfe schaffen. Nichts hindert die Stadt Wien daran, ihre Pädagoginnen in den weit über tausend Kindergärten, -horten und -krippen ebenso gut zu bezahlen wie ihre Elektrotechniker bei Wien Energie.

Von profil auf diesen Umstand hingewiesen, antwortete die zuständige Finanzstadträtin Renate Brauner, dass „traditionelle Rollenbilder, die Unterscheidung zwischen so genannten ‚Frauen-’ und ‚Männerberufen’ und konservative Wertehaltungen auch vor den Toren der Stadt Wien nicht haltmachen“.

Weit schwieriger ist der Versuch, dem Prinzip der Gleichwertigkeit in der Privatwirtschaft gerecht zu werden. Je nach Kriterienkatalog (über den bisher kein Konsens besteht) könnte eine Friseurin eingestuft werden wie ein Maler, Dachdecker oder Maurer – bloß: Wie macht man den Frisiersalonbesitzern (und -besitzerinnen) die Lohnerhöhung um 20 bis 30 Prozent schmackhaft? Vielleicht kann die ÖVP-Abgeordnete Dorothea Schittenhelm, die mit Verve die Gleichwertigkeitstheorie vertritt, ihren Kollegen vom Wirtschaftsbund gute Tipps geben.

Völlig aussichtslos wird das Postulat der Gleichwertigkeit bei akademischen Berufen. Formal gesehen hat eine Absolventin der Publizistik eine gleichwertige Qualifikation erworben wie ein Absolvent im Fach Verfahrenstechnik. Aber wenn die Publizistin eine Stelle in einem Redaktionsbüro antritt, müsste ihr Arbeitgeber ihr dann dasselbe zahlen wie ein hochprofitabler Konzern seinem neuen Verfahrenstechniker – oder seiner neuen Verfahrenstechnikerin?

Das führt zum zweiten wesentlichen Argument gegen die profil-Story, wonach die Diskriminierung zum Teil indirekt wirke: Frauen nehmen von vornherein schlechter bezahlte Jobs an, weil diese mit den familiären Verpflichtungen besser vereinbar sind. Aus demselben Grund arbeiten sie Teilzeit und haben längere Erwerbspausen. Mit einem Wort: Frauen tragen üblicherweise die Hauptlast in der Familie, machen deshalb nicht dieselben Jobs wie die Männer und nehmen so Lohneinbußen in Kauf. Das kann niemand bestreiten.

Allerdings sind dafür nicht die Arbeitgeber verantwortlich zu machen. Diese Faktoren in die Lohnschere einzurechnen und am Equal Pay Day 25 Prozent Lohndiskriminierung geltend zu machen ist unsinnig und auch unfair gegenüber den Unternehmen. Traditionelle Rollenverteilungen innerhalb der Familien soll man zugunsten der Frauen ändern, indem man beiden Geschlechtern die Vorteile einer gleichberechtigten Familienorganisation bewusst macht, und nicht, indem man suggeriert, das Übel müsse durch eine Lohnerhöhung aus der Welt geschafft werden.

Die Bereinigung des Gender Pay Gaps um verzerrende Faktoren ist keine bösartige mathematische Übung, sondern zeigt, wo die Probleme wurzeln. Das sollte als Fortschritt angesehen werden. Auch wenn die griffige Zahl von 25 Prozent Lohndiskriminierung dabei auf der Strecke bleibt.
Im Übrigen kann ich den Zustand von außen verordneter Frustration nur empfehlen.

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