Robert Treichler: Xi oder Trump?

Wer ist vorzuziehen: der Vernünftige oder der Unzurechnungsfähige? Ein hartes Match.

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Am 8. November kann sich die Weltöffentlichkeit – Sie und ich natürlich auch – einem Selbsttest unterziehen: US-Präsident Donald Trump, nennen wir ihn aus Tradition und mit angemessenem Bauchweh „Leader of the Free World“, wird in Peking Chinas Staatspräsident Xi Jinping besuchen, und die Bilder der beiden werden auf eindringliche Weise eine Frage illustrieren, die nicht neu ist, aber immer drängender wird: Halten wir die Demokratie westlicher Prägung immer noch für die beste aller Regierungsformen? Ist sie allen anderen überlegen, insbesondere der chinesischen?

Ehe Sie antworten, vergegenwärtigen Sie sich noch einmal kurz das Doppelporträt von Trump und Xi. Der demokratisch Gewählte: Politisch unzurechnungsfähig, neigt er zu spontanen Kriegsdrohungen, macht internationale Abkommen zu Schnipseln, genießt international ein schauerliches Renommee. Der vom Nationalen Volkskongress der Kommunistischen Partei Chinas gewählte: Strategisch denkend, präsentierte er sich vergangenen Jänner in Davos als Garant des freien Welthandels und der Einhaltung des Klimavertrags von Paris und erntete dafür Respekt.

Politische Systeme bestehen nicht bloß aus je einer Führungsfigur. Was leistet der Westen, was leistet China? Ein kurzer Abriss der Errungenschaften der westlichen Demokratie der jüngsten Zeit fällt eher wenig beeindruckend aus: Großbritannien hat auf demokratisch einwandfreiem Weg beschlossen, alle Nachteile in Kauf zu nehmen, um sich des Vorteils zu berauben, Mitglied der Europäischen Union zu sein; Katalonien und Spanien nutzen alle demokratischen Mittel, um den wirtschaftlichen Erfolg der Region und des ganzen Landes zu behindern; die USA haben in wenig ruhmreichen Kriegen in Afghanistan und dem Irak viel Prestige eingebüßt, vor allem, was die Verteidigung ihrer Werte betrifft; das der US-Justiz entzogene US-Gefängnis Guantanamo bleibt ein Schandfleck; der vorgeblich gemeinsame Kampf gegen den Klimawandel wird, wenn überhaupt, mutlos geführt; in Europa erstarken Parteien, deren Prinzipien antieuropäisch sind.

China bleibt, wenn auch in abgeschwächter Intensität, Wachstumsmotor der Weltwirtschaft; der Staat und seine Agenturen überziehen ganze Erdteile mit einem Netz aus Straßen, Häfen und anderer Infrastruktur; die militärische Schlagkraft wird ausgebaut; die Armut im Land ist in einem historisch nicht gekannten Ausmaß zurückgegangen; Peking zeigt innenpolitisch und global Leadership und gibt die Stimme der Vernunft.

Hm, welches System ist nun das bessere? Hat vielleicht im Moment doch der Westen das Nachseh…?

Das jeweilige Wahlvolk eines freien, liberalen Staates hat die einzigartige Möglichkeit, sich auch mal blödsinnig zu entscheiden.

Halt, Moment! Eines noch: Der chinesische Staatsapparat unter Führung des belesenen, manierlichen Xi Jinping ist nicht nur erfolgreich, was ökonomische und politische Steuerungsmaßnahmen betrifft, sondern auch, was die Fähigkeit betrifft, seine Bürger zu überwachen und ihnen politische Rechte vorzuenthalten. Dabei ist er sogar besonders effizient, weil die wachsende Mittelschicht mit ihren Smartphones für den autoritären Staat eine permanente Bedrohung darstellt. Digitale Gesichtserkennung im öffentlichen Raum und ein Punktesystem zur Bewertung des Wohlverhaltens jedes Bürgers sind die Werkzeuge einer illiberalen Staatsmacht, die politische Meinungsäußerung als Gefahr für die nationale Sicherheit ansieht.

Xi, der weise Staatslenker, hält nichts von Pluralismus, er setzt auf das uneingeschränkte Machtmonopol der Kommunistischen Partei, und das liegt zusehends in einer Hand – seiner eigenen. Wer daran Kritik übt, verschwindet aus dem öffentlichen Leben.

Dass Donald Trump im Weißen Haus sitzt, sagt nichts Gutes über den Zustand der USA aus. Aber paradoxerweise doch etwas Gutes über die westliche Demokratie: Das jeweilige Wahlvolk eines freien, liberalen Staates hat die einzigartige Möglichkeit, sich auch mal blödsinnig zu entscheiden, und danach seine demokratischen Institutionen – die Justiz, die Opposition, die Medien, die Zivilgesellschaft – in Bewegung zu setzen und zu protestieren. Es muss das nicht machen, aber es kann.

In drei Jahren kann Donald Trump Geschichte sein, und es wird keine schöne Geschichte gewesen sein. Sie wird davon handeln, wozu eine Demokratie in der Lage ist. Xi Jinping wird nach menschlichem Ermessen Trump weit überdauern. Diejenigen seiner Landsleute, denen das nicht passt und die sich laut daran stoßen, werden ein Fall für Human Rights Watch. China wird zusehends reicher, aber es könnte ein besserer Platz zum Leben sein, würden die 1,4 Miliarden Chinesen über das Schicksal ihres Landes mitbestimmen könnten.

Der Schluss ist: Auch ein ideologisch stringent erdachtes Einparteiensystem, angeführt von einer intellektuell beeindruckenden Persönlichkeit, bleibt ein autoritäres Gebilde, dessen Erfolg immer auch auf Repression basiert.

Xi oder Trump? Trump. Mit Ablaufdatum.

[email protected] Twitter: @robtreichler

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur