Robert Treichler: #YouToo, Asia?

Frauen können alles, was Männer können. Klar, auch die fiesen Sachen.

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Angela Merkel ist seit 13 Jahren Kanzlerin, Oberleutnant Marina Hierl befehligt eine Kampfeinheit der US-Marines, und die acht Frauen, die in dem Hollywood-Film „Ocean’s 8“ einen Raubüberfall verüben, kriegen das ebenso gut hin wie die elf, zwölf, respektive 13 Männer in „Ocean’s Eleven“, „Ocean’s Twelve“ und „Ocean’s 13“. Ja, Frauen können alles, was Männer können.

Auch die fiesen Sachen. Lassen die männlichen Hollywood-Schauspieler ihre weiblichen Kolleginnen bei den Honoraren weit hinter sich, so tun das die weiblichen Models mit den männlichen – ohne dass namenlose male models deshalb lautstark gegen den Gender Pay Gap protestieren.

Und jetzt haben die Männer öffentlichkeitswirksam ein weiteres – vermeintliches – Monopol verloren: Sie sind nicht mehr die alleinigen Täter im Fadenkreuz der #MeToo-Bewegung. Ja, auch Frauen können sexuell belästigen und nötigen. Die Schauspielerin Asia Argento, eine der wichtigsten Proponentinnen der #MeToo-Bewegung, wird von dem Schauspieler Jimmy Bennett beschuldigt, ihn 2013 unter Alkoholeinfluss gesetzt und sexuell missbraucht zu haben. Er war damals 17, sie 37. Gemäß der kalifornischen Gesetze wird Sex mit einer Person unter 18 als Form der Vergewaltigung geahndet.

Es war klar, dass irgendwann eine Frau der sexuellen Belästigung bezichtigt wird. Dass es mit Argento ausgerechnet eine Wortführerin der #MeToo-Bewegung erwischt, ist zwar peinlich für diese, ändert aber weder etwas an der Legitimität der Bewegung noch an der Frage, ob Argento selbst Opfer einer Vergewaltigung durch den Filmproduzenten Harvey Weinstein wurde.

Und doch hat der Fall Argento etwas bewirkt. Man kann die Gleichheit der Geschlechter predigen und anerkennen, aber es ist müßig zu leugnen, dass es einen Unterschied macht, ob ein Mann oder eine Frau der sexuellen Belästigung beschuldigt wird. Der beste Beweis war die Reaktion von Rose McGowan, einer weiteren #MeToo-Wortführerin, auf den Fall Argento: „Niemand von uns kennt die Wahrheit dieser Situation, und ich bin sicher, mehr wird zutage treten. Seid milde.“

Dass eine Frau, die selbst mutmaßlich Opfer ist, als Täterin verdächtigt wird, macht einen Perspektivenwechsel möglich.

Zurückhaltung und Milde waren bisher keine großen Anliegen, wann immer der Name eines mutmaßlichen Täters veröffentlicht wurde. McGowan wurde für ihre Aussage auch heftig kritisiert – wahrscheinlich zu Recht, weil sie mit zweierlei Maß misst. Andererseits: Dass eine Frau, die selbst mutmaßlich Opfer ist, als Täterin verdächtigt wird, macht einen Perspektivenwechsel möglich.

Es stimmt: Vieles im Fall Argento ist ungeklärt – so wie in unzähligen anderen Belästigungsfällen. Es fällt einem leichter, Argento in Schutz zu nehmen als einen Mann in derselben Lage. Und es fällt einem leichter, die Motive eines Mannes zu hinterfragen, der 3,5 Millionen Dollar verlangt, weil ihn der einmalige – nach seiner Darstellung überfallsartige – Geschlechtsakt beruflich für Jahre aus der Bahn geworfen habe.

„Standard“-Kolumnist Hans Rauscher onkelt lebensklug: „Ein 17-Jähriger, der von einer 37-jährigen attraktiven Frau zum Sex, na, sagen wir, überrumpelt wurde, von dem sollte man annehmen, dass er anders reagiert, als es dieser Jimmy Bennett jetzt getan hat.“ Wenn sie „attraktiv“ ist und er bloß „überrumpelt“ wurde, ist offenbar alles okay. Wäre ER attraktiv und SIE die Überrumpelte, fiele das Urteil hingegen wohl anders aus.

Bisher galt im #MeToo-Universum: Wer sich öffentlich als Opfer deklariert, dessen Geschichte darf nicht angezweifelt werden.

Das ist Unsinn. Wer jemanden einer Untat bezichtigt, tut dies manchmal auch aus niederen Motiven: Rachsucht, Geltungssucht, Geld …

Die Sanktionen für die – nicht strafrechtlich – Beschuldigten sind wiederum oft unangemessen hoch. Meist läuft die Ächtung darauf hinaus, dass gegen den angeblichen Belästiger eine Art Berufsverbot erwirkt wird. Schauspieler werden nicht mehr beschäftigt, weil der Verdacht gegen sie das Image und damit den Erfolg einer Produktion gefährdet. Dazu kommt, dass im Gegensatz zu gerichtlichen Verurteilungen und Strafen eine #MeToo-Ächtung nicht durch Verbüßen getilgt werden kann.

All diese Einwände sind so alt wie die #MeToo-Bewegung selbst, bloß galten sie bisher als verkappte Solidarisierung mit männlichen Tätern. Nun gibt es in einem anderen Fall bereits die (nicht einmal besonders verkappte) Solidarisierung mit einer weiblichen Täterin: Avital Ronell, eine in Fachkreisen bewunderte Literatur-Professorin, wurde nach einer elfmonatigen Untersuchung von der New York University der sexuellen Belästigung für schuldig befunden. Sie hatte drei Jahre lang einen Studenten mit allen Arten von Zuneigung verfolgt.

Prompt sprangen der Professorin Prominente aus der Kollegenschaft bei, darunter die Feministin Judith Butler, diskreditierten das Opfer und stellten Ronell auf Basis ihrer intellektuellen Leistungen einen Persilschein aus. Ja, auch Frauen können ihre Prinzipien zugunsten von Kumpanei verraten.

Trotzdem wird der Böse im ersten #MeToo-Movie wohl ein Mann sein. (Und der übernächste James Bond eher eine Frau.)

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur