Rosemarie Schwaiger: Der praktische Bösewicht
Ob da ein neuer Rekord droht? Am Mittwoch vergangener Woche musste sich Innenminister Herbert Kickl bereits zum sechsten Mal einem Misstrauensantrag der Opposition stellen. Für rund 13 Monate Amtszeit ist das eine stolze Bilanz. Wenn es in dieser Frequenz über die volle Legislaturperiode weitergeht, wird Kickl bisherige Spitzenreiter des Genres (wie etwa Karl-Heinz Grasser) locker hinter sich lassen.
Natürlich wissen SPÖ, NEOS und Liste Jetzt, dass ihre Bemühungen auch beim siebten, zehnten, zwölften Anlauf nicht von Erfolg gekrönt sein werden. Die Regierung verfügt über eine komfortable Mehrheit; selbst eine ausschließlich unter türkisen und blauen Mandataren wütende Grippewelle würde kaum dazu führen, dass der Innenminister gehen muss. Es ist auch allen Kickl-Gegnern klar, dass ein einzelnes Regierungsmitglied weder eine Gefahr für den Rechtsstaat noch für die Demokratie darstellt. Derart finsteren Gemüts kann der Mann gar nicht sein, dass er im Alleingang die österreichische Bundesverfassung auszuhebeln imstande wäre.
Aber ein schönes Feindbild will nun mal gepflegt werden. Vor allem die SPÖ hat gute Gründe, am Ball zu bleiben – und tut das nicht nur im Parlament, sondern auch in den sozialen Medien, bei Pressekonferenzen und jeder sonstigen Gelegenheit. Fast egal, welcher Funktionär oder Sympathisant der SPÖ dieser Tage irgendwo zu Wort kommt: Nach kürzestmöglichem Anlauf landet das Gespräch zuverlässig beim Innenminister. Einen besseren Gegner werden die Genossen so schnell nicht finden, das wissen sie. Mögen zwischen dem linken und dem rechten Flügel der Partei sonst Welten liegen – auf die Bösewichtigkeit von Herbert Kickl kann man sich zur Not immer noch verständigen. Solange Herr K. in der Wiener Herrengasse fuhrwerkt, hat der Furor gegen die Regierung wenigstens eine ordentliche Postadresse. Dass der Innenminister zu den unbeliebteren Mitgliedern des Kabinetts gehört, und zwar auch bei Journalisten, ist sicher kein Schaden. Wer ihm ordentlich einschenkt, kann sich fühlen wie ein Fußballfan im Sektor der Heimmannschaft: Gepfiffen und gebuht wird mit der Mehrheit.
Nun lässt sich beim besten Willen nicht behaupten, dass es einen Unschuldigen trifft. Kickl steht seit seiner Zeit als Generalsekretär und Wahlkampfmanager der FPÖ für beinah alles, was die Freiheitlichen zu einem problematischen politischen Angebot macht. Wer ihm aufmerksam zuhört, kann durchaus den Eindruck gewinnen, dass Kickl gerne so gefährlich wäre, wie ihn viele einschätzen. Die jüngste Aufregung über seine Kritik an einzelnen Punkten der Menschenrechtskonvention mag teilweise hysterisch und überzogen gewesen sein. In Kickls Händen wüsste man die Grundrechte trotzdem nicht gerne.
Kickl selbst kann sich über die Attacken freuen. Je mehr Leute seinen Kopf fordern, umso sicherer ist sein Job.
Das Problem beim Kickl-Bashing von links ist der Umstand, dass es zunehmend als Ersatz für eigene politische Konzepte herhalten muss. Der Ressortchef im Innenministerium ist für genau jene Themen zuständig, bei denen die SPÖ seit Jahren um eine Linie ringt: Migration, Asyl, Sicherheit. Offenbar denken die Sozialdemokraten, sie könnten sich das mühsame Suchen nach einem Konsens ersparen, wenn sie vereint über Herbert Kickl herfallen. Solange dieser nach linker Lehrmeinung zuverlässig alles falsch macht, muss die SPÖ nicht verraten, was sie stattdessen tun würde.
Dabei wäre es für potenzielle Wähler durchaus interessant zu erfahren, wie ihre Partei zum Beispiel mit Intensivstraftätern unter Flüchtlingen umgehen würde. Nicht so wie der Innenminister, okay, verstanden. Aber wie dann? Angesichts der jüngsten Mordserie an Frauen, bei denen die Täter überproportional oft keinen österreichischen Pass hatten, waren die Reaktionen aus der Sozialdemokratie, höflich ausgedrückt, verwirrend: „Bei zweimaliger Verurteilung wegen Körperverletzung und weiterer Anzeige wegen Körperverletzung und sexueller Belästigung bin ich gern präzise: Es gehört abgeschoben, PUNKT“, formulierte Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda Mitte Jänner in einem Twitter-Posting scharf. Der Tweet war eine Reaktion auf die Tötung einer jungen Frau durch einen syrischen Asylwerber. Wenige Tage später wollte Frauenvorsitzende Gabriele Heinisch-Hosek von kriminellen Zuwanderern nichts mehr hören. Dass die Migrationswelle der vergangenen Jahre zu verstärkter Gewalt geführt habe, müsste erst einmal wissenschaftlich erwiesen werden, erklärte sie: „Ich halte es für sehr gewagt, das in diesem Zusammenhang zu behaupten.“
Wenn das die Strategie der größten Oppositionspartei sein soll, ist es in der Tat gescheiter, sich in voller Mannstärke an Herbert Kickls Ideen zur Reformierung der Menschenrechtskonvention abzuarbeiten. Da kennt sich der Wähler wenigstens halbwegs aus.
Kickl selbst kann sich über die Attacken freuen. Je mehr Leute seinen Kopf fordern, umso sicherer ist sein Job. Parteien funktionieren da wie Kinder im Trotzalter; wer vom politischen Gegner permanent angegriffen wird, muss bleiben. Ein paar weitere Misstrauensanträge werden sich auf jeden Fall noch ausgehen.