Rosemarie Schwaiger: Greta hat nicht immer recht
Ursula von der Leyen, die neue EU-Kommissionspräsidentin, war vor Kurzem in Äthiopien. Wie sich das gehört, hatte sie Geschenke mitgebracht: Sie versprach, dass Europa seinen Kampf gegen den Klimawandel intensivieren und mit Afrika zusammenarbeiten werde. Außerdem will die EU beim Aufbau der äthiopischen Wirtschaft helfen. Dem Vernehmen nach wurden Verträge über 170 Millionen Euro unterzeichnet; 100 Millionen sollen allein in die Verkehrsinfrastruktur fließen.
Das klingt wunderbar, hat aber einen entscheidenden Haken: Die Rettung des Klimas und der Straßenbau in Afrika schließen einander nach geltender Lehrmeinung aus. Wer die Wortmeldungen von diversen Aktivisten und Politikern bei der Klimakonferenz in Madrid verfolgt hat, muss unweigerlich zu dem Schluss kommen, dass ein prosperierendes Afrika so ziemlich das Letzte wäre, was dieser geschundene Planet noch verkraften könnte. Steigender Wohlstand hat nämlich überall auf der Welt die gleiche Konsequenz: mehr Konsum. Geld macht ja nur dann froh, wenn man es ausgibt – und zwar für Waren, die produziert, transportiert und zum Teil dann sogar noch ans Stromnetz angeschlossen werden müssen. Sollte in den nächsten zehn Jahren auch nur die Hälfte der afrikanischen Haushalte materiell so weit aufrüsten, dass sie sich einen Kühlschrank, eine Waschmaschine, einen Fernseher und vielleicht noch ein paar andere Impulskäufe leisten können, sind die schönsten Planspiele ein Fall für den Altpapiercontainer.
Wir werden den Afrikanern also leider mitteilen müssen, dass sie zugunsten der Klimarettung arm bleiben müssen – es sei denn, wir haben außer pathetischen Appellen und Verzichtserklärungen noch ein paar andere Ideen, um der Erderwärmung zu begegnen.
Greta Thunberg wurde vor ein paar Tagen vom US-Magazin „Time“ zur „Person des Jahres“ gekürt. profil war etwas früher dran und hob die junge Frau schon vor einer Woche als „Mensch des Jahres“ auf die Titelseite. Weitere Auszeichnungen werden wohl folgen, und jede einzelne ist hoch verdient. Thunbergs dramatische Auftritte machten den Klimawandel in den Köpfen vieler Menschen erst zum Thema und rückten ihn auf der politischen Agenda ganz nach oben. Diesen Erfolg kann ihr niemand nehmen.
Allerdings hat der Greta-Hype ein paar unerwünschte Nebenwirkungen. „Wenn wir einfach so weitermachen wie bisher, sind wir verloren“, erklärte etwa UN-Generalsekretär António Guterres jüngst in Madrid. Das ist, bei allem Respekt, ein Satz aus der Teenagerabteilung des politischen Sachverstands. Aber damit kommt man heutzutage auch als 70-jähriger Berufspolitiker durch. Hauptsache, die Wortspende hört sich aufrichtig bekümmert und opferbereit an – als käme sie direkt von Greta.
Die Emissionen stiegen auch deshalb, weil es vielen Menschen besser geht als früher.
Dass der Kampf gegen die Erderwärmung weh tun muss und Entbehrungen verlangen wird, hat sich mittlerweile im öffentlichen Diskurs als Grundannahme durchgesetzt. Nur tiefe Einschnitte in unser aller Lebensweise könnten die Katastrophe noch abwenden, heißt es. Schließlich wurde vereinbart, den CO2-Ausstoß weltweit deutlich zu senken. Da geht es nicht an, dass alle weiterhin SUV fahren, in den Urlaub fliegen und shoppen, als gäbe es kein Morgen.
Allerdings stiegen die globalen Emissionen in den vergangenen Jahrzehnten auch deshalb, weil sehr viele Menschen der Armut entkommen sind. Wirtschaftswachstum ist ja nicht grundsätzlich etwas Böses, das es tunlichst mit einem internationalen Konsumstreik zu verhindern gilt. Ein paar Milliarden Erdenbürger warten indes noch sehnsüchtig auf bessere Zeiten. Wer jetzt weniger Wachstum einfordert, hat einen zu optimistischen Blick auf die Welt. Wie sich beispielsweise die sogenannte „Flugscham“ anfühlt, wissen mehr als drei Viertel der Menschheit schlicht deshalb nicht, weil sie noch nie in einem Flugzeug gesessen sind.
Es spricht viel dafür, aufstrebenden Volkswirtschaften in Afrika und anderswo mit Geld und Know-how zu helfen, damit sie nicht ihren gesamten Energiebedarf mit Kohle oder Erdöl decken. Es ist äußerst sinnvoll, wenn die Aufforstung von Wäldern unterstützt, Windräder und Solaranlagen gefördert und Transportwege möglichst kurzgehalten werden. Wahrscheinlich werden internationale Geldgeber hin und wieder auch den Neubau eines Atomkraftwerks gutheißen und unterstützen müssen – obwohl die Österreicher dagegen sind. Vor allem aber sollte sich die politische Debatte ein wenig intensiver der Frage widmen, wie man den Emissionen mit technischen Mitteln begegnen kann. Es gibt eine Fülle von Projekten, CO2 erst gar nicht in die Atmosphäre gelangen zu lassen. Für diese Art von Forschung kann gar nicht genug Geld da sein.
Ursula von der Leyen hat für Europa einen ehrgeizigen „Green Deal“ ausgerufen. Es geht um viele Milliarden Euro, und wahrscheinlich wird das Klein-Klein europäischer Politik am Ende davon nicht viel übrig lassen. Aber man kann der Kommissionspräsidentin zugutehalten, dass sie hauptsächlich über Innovationen spricht anstatt über Verzicht und Askese. Nicht nur die Äthiopier wird das freuen.