Rosemarie Schwaiger: Hauptsache dagegen
Die Empörung wurde vielfach geprobt und ist jederzeit auf Knopfdruck aktivierbar: „Schutzsuchende Menschen von der Grundversorgung auszuschließen, widerspricht humanitären Grundwerten, missachtet die Menschenwürde und ist unionsrechtswidrig“, erklärt Caritas-Generalsekretär Bernd Wachter. Es sei unmenschlich, Schutzsuchende in die Obdachlosigkeit zu treiben, urteilt Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe Österreich. Der Wiener Flüchtlingskoordinator Peter Hacker warnt vor steigender Kriminalität und würde gerne wissen, „wer dann die Verantwortung übernimmt“. Teile der Wiener SPÖ sind ebenfalls alarmiert, die roten Nachwuchsorganisationen sowieso.
Die Regierung hat ein Fremdenrechtspaket beschlossen und wird dafür kritisiert. So weit, so normal. Praktisch auch, dass die Wortführer bereits aufgewärmt waren: Ein paar Tage vorher hatten sich die ÖVP-Minister Sophie Karmasin und Sebastian Kurz – großteils von derselben Teilöffentlichkeit – einiges anhören müssen, weil sie die Familienbeihilfe für EU-Bürger kürzen wollen, wenn deren Kinder nicht in Österreich wohnen. Der jüngst von der Regierung beschlossene Beschäftigungsbonus hat eine ähnliche Stoßrichtung. Bevorzugt werden sollen Menschen, die schon im Land leben. Die Wiener Stadtzeitung „Falter“ hielt es angesichts der Faktenlage für geboten, ihre Covergeschichte unter den Titel „Österreich zuerst“ zu stellen. Das war der Slogan des Anti-Ausländer-Volksbegehrens der FPÖ im Jahr 1992. Offenbar sehen die Kollegen vom „Falter“ da gewisse Parallelen.
Mitleid mit den Regierungsvertretern ist nicht direkt angebracht; die Damen und Herren werden sich schon zu helfen wissen. Allerdings bleibt die Frage, warum es einfach nicht möglich ist, zu bestimmten Fragen einen halbwegs entspannten Diskurs zu führen – ohne absurde Vergleiche und ohne das im NGO-Kosmos so inflationär gebrauchte Wort „unmenschlich“. Migration gehört zu den wichtigsten politischen Themen der Gegenwart und der kommenden Jahre. Das gilt für ganz Europa, und es gilt im Besonderen für Österreich, das allein durch Zuwanderung in den vergangenen Jahren um die Einwohnerzahl eines kleineren Bundeslandes gewachsen ist. Wenn Sozialstaatsdogmatiker und Moralisten links der Mitte schlichtweg jede Einschränkung auf diesem Gebiet als Kniefall vor der FPÖ werten, wird der Gedankenaustausch schwierig bleiben.
Vielleicht gehen die Pläne der Regierung ja halbwegs auf. Wenn nicht, können wir uns immer noch aufregen.
Man kann an Rot-Schwarz wirklich eine Menge kritisieren, aber im Moment tut die Regierung, wofür sie da ist: Sie arbeitet. Und keine der jüngst beschlossenen oder angedachten Maßnahmen wird Österreich zu einem Unrechtsstaat machen. Das aktuelle Fremdenrechtspaket etwa verfolgt unter anderem den Plan, abgelehnte Asylwerber mit etwas mehr Nachdruck zum Verlassen des Landes zu motivieren. Deshalb soll ihnen schneller als bisher die Grundversorgung gestrichen werden. Vielleicht wird das nicht klappen, aber das Vorhaben per se ist nicht bösartig. Österreich nimmt, gemessen an seiner Größe, nach wie vor unverhältnismäßig viele Flüchtlinge auf. Es würde den Rahmen sprengen, auch noch jene freundlichst zu umsorgen, die keinen Fluchtgrund nachweisen können.
Ob die Reduktion der Familienbeihilfe für EU-Bürger mit Unionsrecht vereinbar ist, wird sich erst zeigen. Gegen den Versuch spricht aber gar nichts. Die EU ist ja keine Sekte, deren Mitglieder ohne Widerworte gehorchen müssen. Tatsächlich lässt sich nur schwer argumentieren, warum für Kinder in Ungarn, der Slowakei oder Rumänien gleich viel Förderung bezahlt wird wie für die Nachwuchsbetreuung im teuren Österreich. Dabei geht es gar nicht in erster Linie um das Geld, das sich der Staat ersparen kann. Die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt wiegen schwerer: So mancher Osteuropäer arbeitet nur deshalb um einen Dumpinglohn in Österreich, weil die üppigen Familienleistungen das Gesamtpaket letztlich doch attraktiv machen. Zur Unterstützung geiziger Arbeitgeber ist das Sozialsystem aber wirklich nicht da.
Der Beschäftigungsbonus wiederum hat auf EU-Ebene bisher weniger Kritik ausgelöst als in Österreich. Geplant ist, mit insgesamt zwei Milliarden Euro Steuergeld neue Jobs zu sponsern – allerdings nur, wenn sie an Menschen gehen, die in Österreich bereits als arbeitslos gemeldet sind oder hier eine Ausbildung absolviert haben. Wer erst jetzt nach Österreich ziehen möchte, und sei es aus einem EU-Staat, muss sich einen ungeförderten Job suchen. Selbstverständlich ist das protektionistisch und gegen den Geist des Binnenmarkts. Das sture Festhalten an einem Dogma wird aber auch nicht weiterhelfen. In Österreich sind derzeit fast 500.000 Menschen arbeitslos. Das liegt nicht zuletzt an der Attraktivität des hiesigen Arbeitsmarkts für Menschen aus den osteuropäischen Nachbarländern. So war das eigentlich nicht geplant, auch nicht in Brüssel. Wäre alles nach Wunsch gelaufen, hätten sich die Lohnniveaus der Mitgliedsstaaten längst viel mehr angleichen müssen. Das ist nicht passiert, und Österreich wird den Großteil dieses Irrtums nicht alleine schultern können.
Vielleicht gehen die Pläne der Regierung ja halbwegs auf. Wenn nicht, können wir uns immer noch aufregen.
Dieser Artikel stammt aus dem profil Nr. 10 vom 6.3.2017. Das aktuelle profil können Sie im Handel oder als E-Paper erwerben.