Rosemarie Schwaiger: Die Macht der Inszenierung
Norbert Hofer hatte es eilig. Keine zwei Monate nach seiner Angelobung als Infrastrukturminister konnte er am Donnerstag vergangener Woche bereits den neuen Aufsichtsrat der ÖBB präsentieren. Unter den von der Regierung entsandten Kapitalvertretern finden sich jetzt: ein FPÖ-naher Manager, eine ehemalige FPÖ-Ministerin, ein ehemaliger FPÖ-Spitzenkandidat, ein ehemaliger stellvertretender Kabinettschef des ehemaligen FPÖ-Chefs Hubert Gorbach sowie der Trauzeuge des aktuellen FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache. Die Herren sind nebenbei allesamt aktive Burschenschafter, eh klar.
Der einstige SPÖ-Minister Alois Stöger findet die Vorgangsweise äußerst befremdlich. Das sei „ungenierter Postenschacher in Speed-kills-Manier“, kritisierte er. Stimmt. Hinzufügen könnte man höchstens, dass Stöger selbst es an Hofers Stelle natürlich genauso gemacht hätte. Aber weil die Regierung mit dem Versprechen angetreten war, eine ganz andere Art von Politik zu machen, ist die plumpe Umfärbung des ÖBB-Aufsichtsrats ein herber Dämpfer für alle, die das glauben wollten.
In manchen Bereichen ist die FPÖ eben doch eine ganz normale Partei. Auch das gehört zu den Erkenntnissen der ersten paar Arbeitswochen von Schwarz-Blau.
Erkenntnis Nummer zwei kam etwas überraschender. Nach dem Getöse im Wahlkampf waren viele Beobachter davon ausgegangen, dass mit der neuen Regierung ein größerer Umbau der Republik bevorstehe. Ganz gleich, ob man das nun als gefährliche Drohung oder als erfreuliche Perspektive verstehen wollte: Passiert ist bisher, von durchsichtigen Personalien und der Einrichtung diverser Arbeitsgruppen einmal abgesehen, eher wenig.
Juvenilen Tatendrang muss sich das Kabinett Kurz I nicht vorwerfen lassen. Unter der strengen Regie des Kanzlers und seiner Berater wird deutlich mehr inszeniert als regiert.
Sebastian Kurz versucht offenbar, das erfolgreiche Konzept seines Wahlkampfs auf den Regierungsalltag zu übertragen. Politische Vorhaben werden häppchenweise und im Rahmen einer festgelegten Choreografie präsentiert. Schön der Reihe nach bekommen die Minister ihre Auftritte und dürfen die zuvor vereinbarten Textbausteine unters Volk bringen.
Wer patzt, wird bestraft und muss eine Zeitlang den Mund halten – wie etwa FPÖ-Sozialministerin Beate Hartinger-Klein, die bei der Präsentation einiger Ideen zur Reform des Arbeitslosenbezugs von ihrem Libretto abwich und nicht sehr gekonnt improvisierte.
Dem Ideal eines selbstbewussten Ressortchefs kommen derzeit am ehesten Bildungsminister Heinz Faßmann und Außenministerin Karin Kneissl nahe. Das Gros der Kollegen scheint in erster Linie darauf bedacht, nur ja nicht aus dem Plot zu fallen. Für eigene Gedanken oder gar einen eigenen Stil bleibt da wenig Spielraum – zumal angeblich jedes Interview vom Kanzlerbüro genehmigt werden muss.
Sebastian Kurz versucht offenbar, das erfolgreiche Konzept seines Wahlkampfs auf den Regierungsalltag zu übertragen. Politische Vorhaben werden häppchenweise und im Rahmen einer festgelegten Choreografie präsentiert.
Nach dem Skandal um das unsägliche Nazi-Liederbuch in Wiener Neustadt ging es vergangene Woche darum, das Thema zu wechseln und Tatkraft zu demonstrieren. Ins Rennen geschickt wurde Karoline Edtstadler, Staatssekretärin im Innenministerium. Das interessierte Publikum erfuhr auf mehreren Kanälen, dass Edtstadler eine Expertengruppe zur Reform des Strafrechts leiten werde. Warum diese Vorschläge nicht im zuständigen Justizministerium erarbeitet werden, konnte sie leider nicht erschöpfend begründen. Auch nicht, warum zwei Jahre nach der letzten Reform schon wieder am Strafmaß geschraubt werden muss. Sebastian Kurz habe sie damit beauftragt, erklärte Edtstadler. Im Zweifel reicht das. Als ehemalige Richterin stehe sie für „Nulltoleranz, wenn es um Gewalt- und Sexualverbrechen gegen Frauen und Kinder geht“, betonte sie mehrfach.
Es traf sich günstig, dass Frauenministerin Juliane Bogner-Strauß in derselben Woche ankündigen konnte, bis 2022 100 zusätzliche Plätze in den österreichischen Frauenhäusern zu schaffen. Auch sie stellte klar, dass es bei Gewalt- und Sexualdelikten „Nulltoleranz“ geben dürfe.
Haben es jetzt alle verstanden? Passt, dann hat sich der Aufwand wenigstens gelohnt.
Wer weniger auf Law and Order und mehr auf ein liberales Gesellschaftsmodell steht, wurde zeitgleich vom Kanzler persönlich bedient. Sebastian Kurz hatte zu seinem ersten Opernball zwei Gäste eingeladen, die ihn mehr schmückten als der Frack: Waris Dirie, ehemaliges Topmodel und seit Jahren Kämpferin für Frauenrechte aus Somalia, und Leo Varadkar, irischer Premierminister, der in einer homosexuellen Partnerschaft lebt und der Sohn indischer Einwanderer ist. Hui, was für ein Statement des österreichischen Bundeskanzlers, ausgerechnet diese zwei Persönlichkeiten zum Ball der Republik mitzunehmen! Man muss schon sehr mieselsüchtig sein, um beispielsweise einzuwenden, dass die ÖVP bis heute gegen die Ehe für Homosexuelle ist – die es in Irland bereits gibt. Hauptsache, der Besuch hat sich in der Oper gut unterhalten und Kurz konnte ein paar Signale an jenen Teil der Bürger ausschicken, der ihn immer noch für einen finsteren Konservativen hält.
Sebastian Kurz wurde gewählt, weil er in der Flüchtlingskrise des Jahres 2015 nicht bloß geredet und Beruhigungspillen verabreicht, sondern gehandelt hat. Vielleicht denkt er bei der nächsten Befehlsausgabe an seine Minister daran.