Rosemarie Schwaiger: Nazi der Woche
Christian Rainer schrieb an dieser Stelle vor einer Woche „über die Dauerschäden des real regierenden Extremismus“. Gemeint waren die fortgesetzten Tabubrüche durch die FPÖ: „Der Umgang mit Ausländern wird sich auf alle Zeiten an dem orientieren, was nun Sachlage ist“, befürchtet der profil-Herausgeber. In unserer Titelgeschichte wurde in derselben Woche „Die rechte Revolution“ thematisiert. Alles spreche dafür, dass die internationalen Erfolge der Neuen Rechten, vom Weißen Haus in Washington bis zum Ballhausplatz in Wien, eine politische Ära begründen, analysieren die Kollegen. „Es ist, ein wenig martialisch formuliert, ein Angriff von rechts auf das politische System.“
profil ist damit in bester Gesellschaft. In ganz Europa machen sich kluge Menschen Gedanken über den Aufstieg rechter und sehr rechter Gruppierungen und warnen vor den unabsehbaren Folgen dieser Entwicklung. Ich halte die Besorgnis für verständlich und bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar. Aber sie bringt nichts.
Der „Kampf gegen Rechts“ ist zu einem Ritual erstarrt, das den Großteil des Publikums eher ermüdet als wachrüttelt. Atmosphärisch richtet die atemlose Fahndung nach dem Nazi der Woche womöglich mehr Schaden an als gehässige Postings in einschlägigen Internetforen oder die Flüchtlingsabschreckungsmanöver von Herbert Kickl. Gegen die Wirksamkeit spricht jede Empirie: Wenn all die Stoppschilder gegen Rechts in den vergangenen Jahren etwas genützt hätten, könnten wir uns längst einem anderen Thema widmen; die FPÖ säße nicht in der Regierung, die AfD wäre gar nicht gegründet worden, Matteo Salvini könnte nicht den Hafenzuchtmeister im Mittelmeer abgeben, vielleicht hätte sich die Welt sogar Donald Trump erspart.
Die Bürger tun offensichtlich, was sie wollen – ganz egal, wie viele Honoratioren ihnen ins Gewissen reden. Lebensumstände und persönliche Erfahrungen sind im Zweifel das stärkere Argument. Gelegentlich wird auch der Trotz eine Rolle spielen: Rechtswähler sind die einzige Minderheit, die in der öffentlichen Debatte nicht mit Nachsicht für ihre Marotten rechnen darf. Wer einmal sein Kreuz an der falschen Stelle gemacht hat, kann sich bloß noch aussuchen, ob er lieber als dumpfer Rassist gelten will oder als frustrierter, vom Leben gebeutelter Loser, der billigem Populismus auf den Leim geht. Beides ist kein übermächtiger Anreiz, die eigene Position zu überdenken. Ganz stimmig sind die Zuschreibungen ohnedies nicht: Eine substanzielle Zahl dieser Leute hat früher links gewählt. Schwer zu glauben, dass ihnen die Urteilsfähigkeit über Nacht abhanden kam.
Man sollte als Politiker wenigstens so tun, als hätte man eine Idee, die über kalmierendes Geschwurbel hinausgeht.
Etwas weniger Aktionismus auf Seiten der Guten wäre mitunter ratsam. Stimmt ja, dass sich an den Rändern der FPÖ und noch mehr bei rechtsextremen Neigungsgruppen wie den aktuell berühmten Identitären Menschen mit äußerst gruseligem Gedankengut herumtreiben. Es ist allerdings hochgradig unwahrscheinlich, dass diese Typen selbst bei Ausschöpfung ihres gesamten Potenzials zu einer echten Gefahr werden können. Der Rechtsstaat ist stabil, die Bundesverfassung setzt politischen Extravaganzen vernünftige Grenzen, ein paar Spinner wird das demokratische System aushalten. Wir müssen nicht jeden von ihnen zur akuten Bedrohung hochjazzen.
Vielleicht bringen die jüngsten Erfolge von rechten Parteien und Gruppierungen im etablierten Teil des Politikspektrums einen Lerneffekt in Gang. Es ist ja kein Geheimnis, welchen gemeinsamen Nenner die Hochkonjunktur der Schmuddelkinder in Europa hat: die Migration. Nicht die Bürger sind grenzüberschreitend plötzlich verrückt geworden. Vielmehr haben die Parteien links von ganz rechts den Rechten die Dominanz über ein Thema überlassen, das den Menschen äußerst wichtig ist. Mittlerweile müsste auch dem Dümmsten klar sein: Man kann massives und vielfach berechtigtes Unbehagen der Leute nicht mit Sonntagsreden wegplaudern. Man sollte als Politiker wenigstens so tun, als hätte man eine Idee, die über kalmierendes Geschwurbel hinausgeht. Europas Sozialdemokraten werden noch lange darunter leiden, das nicht früher kapiert zu haben.
Sebastian Kurz wäre ohne Flüchtlingskrise heute nicht Kanzler. Wahrscheinlich hätte sogar er gerne einen reputierlicheren Koalitionspartner als die FPÖ. Der Ton ist in manchen Belangen schärfer geworden, da haben die Kritiker durchaus recht. Rechtsextrem ist diese Regierung trotzdem nicht, so viel semantisches Feingefühl sollten selbst deren Gegner aufbringen. Und was die Langzeitwirkung angeht: Von Schwarz-Blau I und II blieben ein paar Korruptionsverfahren und eine Pensionsreform. Ein kaltes, herzloses Land ist Österreich nicht geworden.