Rosemarie Schwaiger: Der Schmiedl hat gewonnen
In der Schriftstellerei geht es um Fantasie, nicht um harte Fakten. Das erklärt einigermaßen, warum der Theater- und Romanautor Franzobel in einem Text für „Spiegel-Online“ das heimische Politikgeschehen recht kreativ interpretierte und etwa behauptete, Sebastian Kurz verkörpere eine „Phantasmagorie des in Österreich immer noch geträumten Habsburgerreichs“. Wie der Dichter darauf kam und was genau am Altkanzler imperial-habsburgerisch sein soll, erläuterte er nicht. Berufskollege Joachim Lottmann hatte jüngst im profil ähnliche Assoziationen. Das läuft dann wohl unter künstlerischer Freiheit.
Noch seltsamer sind die Sprachbilder, die Franzobel schon einen Absatz vorher anbringt. Kurz sei, heißt es da, „ein Robin Hood der oberen Zehntausend, der seine Parolen wie Litaneien beim Rosenkranzbeten wiederholt“.
Sebastian Kurz kann sich jetzt also auch noch damit brüsten, dass er anerkannte Textkünstler zu rekordverdächtig schlechten Metaphern motivierte.
Zweifellos werden die von Herrn Franzobel nominierten oberen Zehntausend ihren Anteil am ÖVP-Sieg haben. Aber ein zahlenmäßig viel größerer Teil der türkisen Stimmen kommt diesmal aus einem ganz anderen, weniger glamourösen Eck: Von der FPÖ Enttäuschte gingen entweder gar nicht wählen, oder sie liefen zur Volkspartei über. Bei der SPÖ landeten, wenn die Meinungsforscher des Sora-Instituts recht haben, nur drei Prozent der Ex-Blauen. Und das, obwohl ein großer Teil dieser Leute früher rot gewählt hat oder zumindest aus einem Milieu stammt, das die SPÖ als eine ihrer Kernzonen definiert.
Was bleibt von der SPÖ, wenn die Modernisierungsverlierer jetzt ÖVP wählen?
Falls die Sozialdemokraten demnächst mal eine ruhige Minute haben, sollten sie vielleicht darüber nachdenken, wie das passieren konnte. Schlimm genug, dass die gebildeten, wohlhabenden Stadtbewohner zu den Grünen davonliefen. Aber was soll von der SPÖ übrig bleiben, wenn die Modernisierungsverlierer jetzt anfangen, ÖVP zu wählen?
Der Politologe Fritz Plasser hatte das Unheil kommen sehen. Eine Rückholaktion der einstigen Anhänger halte er für unwahrscheinlich, erklärte der Professor einen Tag vor der Wahl im „Standard“. Als größtes Hindernis wertete er „den neuralgischen Themenkomplex Migration“, mit dem sich die SPÖ nach wie vor sehr schwer tue. Auch der Meinungsforscher Peter Hajek sieht das so: „Wie schon bei der EU-Wahl ziehen die freiheitlichen Wähler an der SPÖ vorbei zur ÖVP und Sebastian Kurz. Der Grund ist vor allem das Migrationsthema.“
Keine andere Materie hat die Sozialdemokratie in den vergangenen Jahren derartig paralysiert wie die Zuwanderung. Dabei könnte man nicht behaupten, dass kein einziger Genosse deren Bedeutung für große Teile der eigenen Anhänger erkannt hätte. Aber wann immer sich einer anschickte, irgendwie aktiv zu werden, wurde er von Tugendwächtern innerhalb und außerhalb der eigenen Partei zurückgepfiffen. Eine härtere Gangart würde nur der politischen Konkurrenz rechts außen helfen, lautete das gängige Argument. Im Zweifel würden die Bürger den Schmied (in diesem Fall also die FPÖ) und nicht den Schmiedl wählen. Werner Faymann bekam das zu hören, als in seiner Kanzlerschaft eine Obergrenze für Asylanträge beschlossen wurde. Christian Kern geriet unter friendly fire, als er mit der ÖVP das Verhüllungsverbot aushandelte.
Pamela Rendi-Wagner entging der Schmied-Schmiedl- Folklore, weil sich der Wahlkampf vorwiegend um Skandale innerhalb des Politikbetriebs drehte und weniger um Asylwerber oder muslimische Parallelgesellschaften. Falls die SPÖ-Chefin gehofft hatte, damit sei die Sache auch für die Bürger erledigt, weiß sie es nun besser. Sebastian Kurz hat den Beweis erbracht, dass der Schmiedl eine ziemlich tragende Rolle sein kann, wenn man sie richtig anlegt. Er muss die Balkanroute gar nicht mehr erwähnen; das Publikum weiß auch so, woran es mit ihm ist.
Unabhängig von der Debatte, wie das Zuwanderungsland Österreich über Migration reden soll, birgt der Höhenflug der ÖVP ein paar Erkenntnisse, von denen auch die SPÖ profitieren könnte – wenn sie sich aufrafft: Es kommt in der Politik nicht so sehr darauf an, wer eine Idee zuerst hatte oder einen Missstand als Erster formulierte. Die Demokratie funktioniert eben nicht wie das Patentamt. Wichtiger als die Frage, wer etwas erfunden hat, ist dem Wähler, wer es durchsetzt oder wenigstens überzeugend vertritt. Eine Partei muss dazulernen und sich hin und wieder von altem Ballast trennen dürfen. Sonst ist sie weniger mobil als die Wähler.
Gleichgültig, ob Pamela Rendi-Wagner oder jemand anderer die SPÖ in den nächsten Jahren leiten wird: Der linke Flügel der Partei und sein wortgewaltiger Anhang in der Kultur- und Medienszene sollten gelegentlich die möglichen Folgen bedenken, bevor sie über die eigene Gesinnungsgemeinschaft herfallen. Sonst gewinnen am Schluss immer die anderen. Und Franzobel muss sich noch ein paar Metaphern einfallen lassen.