Rosemarie Schwaiger: Übers Knie gebrochen
Efgani Dönmez war ziemlich lange bei den Grünen und sehr kurz im ÖVP-Parlamentsklub. Am Montag vergangener Woche bekam er vom Bundeskanzler persönlich die Kündigung überreicht. „Sexistische, beleidigende Entgleisungen“ seien nicht akzeptabel, richtete Sebastian Kurz ihm aus. Als wilder Abgeordneter kann Dönmez jetzt noch eine Zeit lang Politiker spielen. Spätestens nach der nächsten Nationalratswahl wird auch damit Schluss sein.
Die Demokratie wird den Abgang des türkischstämmigen Oberösterreichers verkraften – dennoch ist es schade um ihn. Dönmez stieß oft interessante Fragen an und ging keinem Konflikt aus dem Weg. Es passt zu seinem Naturell, dass er jetzt über zwölf Worte in einem Twitter-Posting stolperte. Auf die Frage eines anderen Users, wie die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli zu ihrem Amt gekommen sei, antwortete Dönmez bekanntlich: „Schau dir mal ihre Knie an, vielleicht findest du da eine Antwort.“
Ob das als Anspielung auf sexuelle Praktiken gemeint war, wie viele glauben, oder ganz anders und überhaupt nicht sexistisch, wie Dönmez beteuert, ist mittlerweile egal. Es tut auch nichts mehr zur Sache, dass der Delinquent von einem „Moment der Schwäche“ sprach und sich entschuldigte. Er wurde im Eiltempo abgeurteilt, die öffentliche Ordnung gilt damit als wiederhergestellt.
Die Frage ist jetzt nur noch, ob wir in einer Welt leben wollen, in der ein dummer, aber in der Sache folgenloser Satz alles ruinieren kann, was ein Mensch für sein Lebenswerk gehalten hat. Müsste uns nicht kollektiv ein wenig mulmig werden, wenn wir sehen, wie unglaublich schnell das manchmal passiert?
Ganz ähnlich wie Dönmez erging es im Herbst vergangenen Jahres dem damaligen Chefredakteur einer österreichischen Tageszeitung. Der Mann wurde fristlos entlassen, weil er ein Dreivierteljahr zuvor spätabends einer freien Mitarbeiterin eine anzügliche Nachricht über Facebook geschickt hatte. Was genau er geschrieben hatte, wurde nicht bekannt. Angeblich erfüllte es den Tatbestand der sexuellen Belästigung, weil er einen freien Job und seine Avancen miteinander verknüpft habe. Wenn das stimmt, war es nicht okay. Die Höchststrafe durch den Arbeitgeber erscheint dennoch überdimensioniert.
Menschen denken und reden gelegentlich dummes Zeug; das gilt für Politiker, Journalistinnen und Schauspieler genauso wie für Automechaniker, Hochschulprofessorinnen und Friseure.
profil-Kollege Robert Treichler plädierte vor drei Monaten in einem Kommentar dafür, die öffentliche Ächtung zu beenden, wenn ein Übeltäter überzeugend um Entschuldigung gebeten hat. Schließlich herrsche sogar im Strafrecht die Ansicht, dass Menschen geläutert werden könnten, so Treichler sinngemäß. Umso mehr müsse das gelten, wenn es sich um bloße Gemeinheiten handle. Anlass für diesen Text war damals unter anderem die US-Schauspielerin Roseanne Barr gewesen, die auf Twitter eine ehemalige Mitarbeiterin von Ex-US-Präsident Barack Obama rassistisch beleidigt hatte. Barr entschuldigte sich wortreich, aber das nützte nichts: Der TV-Sender ABC setzte umgehend eine eben erst gestartete Serie ab, in der die Schauspielerin die Hauptrolle hatte. Wie es aussieht, wird die 65-Jährige in diesem Leben keinen Job mehr kriegen.
Menschen denken und reden gelegentlich dummes Zeug; das gilt für Politiker, Journalistinnen und Schauspieler genauso wie für Automechaniker, Hochschulprofessorinnen und Friseure. Vor allem spätabends und mit etwas Alkohol im Hirn erreicht die Selbststeuerung oft keine Rekordwerte mehr. Im analogen Zeitalter war das relativ egal; schlimmstenfalls mussten sich ein paar Freunde am Telefon oder am Tresen einer Bar den Unsinn anhören. Ein Internetanschluss erweitert die Auswirkungen umnebelter Geistesblitze dramatisch. Das weiß jeder. Es schafft nur nicht jeder, fortwährend richtig damit umzugehen. Entgleisungen sollten geahndet werden, klar. Aber es kann nicht die einzig mögliche Sanktion sein, eine Person zu vernichten, womöglich lebenslang.
Von Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, werde erwartet, dass sie sich unter Kontrolle haben, heißt es. Im Besonderen gelte das für Politiker, die vom Volk bezahlt werden und Vorbilder sein sollten. So kann man es sehen. Aber dann darf man sich auch nicht beschweren, wenn die Zahl der menschlichen Roboter auf der politischen Bühne zunimmt. Gutes Benehmen in allen Lebenslagen garantiert am zuverlässigsten, wer emotional ein Kühlschrank und weitgehend temperamentfrei ist. Die umfassende Selbstkontrolle kann, bei Licht betrachtet, eine ziemlich gruselige Fähigkeit sein.
Wie so oft bei Fragen von Moral und Anstand gelten nicht in jedem Fall dieselben Maßstäbe. Während bei manchen ein einziger Fehltritt genügt, dürfen sich andere so gut wie alles erlauben. Vom Inhalt hängt das am wenigsten ab, wichtiger ist der Background. Wer sich in den vergangenen Tagen mit FPÖ-Politikern unterhalten hat, bekam etwa zu hören, dass Efgani Dönmez wahrscheinlich nicht so schwer bestraft worden wäre, wenn er im blauen Parlamentsklub säße. Etwas bedauerndes Gemurmel und eine großzügige Spende an eine soziale Institution hätten gereicht. Die ÖVP wollte sich eine endlose Debatte über ihre Positionierung in Frauenfragen einfach nicht antun. Also gab es kein Pardon.
Ein bisschen mehr Nachsicht bei Fehltritten, die letztlich keinen Schaden verursacht haben, wäre insgesamt eine gute Idee. Das kann man sich auch als Journalist einfach mal vornehmen.