Rosemarie Schwaiger: Wehleidigkeit ist kein Programm
Caspar Einem hat es sicher gut gemeint. „Ist die SPÖ eine intelligente Partei?“, lautete der Titel eines Gastkommentars, den der ehemalige SPÖ-Innenminister vor ein paar Tagen im „Standard“ veröffentlichte. In dem langen Text empfiehlt Einem den Genossen dringend einen anderen Umgang mit Pamela Rendi-Wagner. „Eine intelligente Partei hört ihrer Vorsitzenden zu, denn sie hat etwas zu sagen, eine intelligente Partei versammelt sich hinter der Spitzenkandidatin und erkennt, was sie an ihr hat“, heißt es da zum Beispiel. Man könne den Eindruck haben, so der Autor, dass manche Funktionäre „lieber einen kräftigen Macho an der Spitze der Partei“ sähen – obwohl die Chefin so viele Qualitäten mitbringe: „Sie sieht gut aus, sie kann gut sprechen und macht insgesamt einen sehr sympathischen Eindruck.“
Wie gesagt: Caspar Einem hatte sicher die besten Absichten. Irgendwer im Aktiv-Department der SPÖ wird den Text wohl auch noch gegengelesen haben, bevor er an die Zeitung gemailt wurde. Das Ergebnis ist trotzdem desaströs. Wer als Spitzenpolitiker (den Genderstern oder ein Binnen-I bei Bedarf bitte mitdenken) diese Art von Plädoyer nötig hat, kann einpacken. In der Politik geht es um Autorität, nicht um Mitgefühl und Nachsicht, weil einer oder eine eh ganz nett und fesch ist.
Es macht die Sache nicht besser, dass Pamela Rendi-Wagner selbst ähnlich argumentiert. Die SPÖ müsse sich erst daran gewöhnen, dass Entscheidungen von einer Frau auch zu respektieren seien, erklärte sie im ORF. Wäre sie ein Mann, gäbe es weniger Debatten um ihre Person, glaubt Rendi-Wagner. Offenbar war sie auf Urlaub im Funkloch, als Werner Faymann – zweifelsfrei ein Mann – von den Genossen aus dem Amt gejagt wurde. Alfred Gusenbauer, ebenfalls stolzer Besitzer eines Y-Chromosoms, könnte auch ein paar einschlägige Schwänke zum Besten geben. Und so beleidigt, wie Christian Kern auf seine Partei reagiert, hat er offenbar nicht bloß nette Erinnerungen, obwohl er ein Kerl ist.
Frauen haben es viel, viel schwerer in der Politik als Männer. Wenn sie straucheln, liegt das nie nur an eigenem Unvermögen, sondern mindestens genauso sehr am Widerstand gegen eine Frau in einer Spitzenposition: Diese Theorie wird besonders im linken Spektrum mit Hingabe gepflegt. Ob sie stimmt, ist nicht so wichtig. Wehleidigkeit entzieht sich leider der wissenschaftlichen Überprüfung.
Ob Frauen wirklich so viel mehr und so viel unfairer kritisiert werden als Männer, bleibt eine Frage der Perspektive.
Die SPÖ ist mit ihren Beschwerden jedenfalls in bester Gesellschaft: Hillary Clinton, im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 unterlegene Kandidatin der Demokraten, hat sich ausführlich über den Sexismus in der eigenen Partei, beim politischen Gegner, in den Medien und im Volk beklagt. Vor ein paar Wochen musste Andrea Nahles als Chefin der SPD zurücktreten. Als Grund reichte manchem Beobachter nicht aus, dass die Umfragewerte der einst staatstragenden Partei den Status eines politischen Kleingartenvereins in Aussicht stellen. Nein, den letzten Schubser verdanke sie ihrer Identität als Frau, hieß es. Im Umgang mit der Chefin habe die SPD einen „ziemlichen frauenfeindlichen Anteil“ offenbart, jammerte etwa Vizekanzler Olaf Scholz. Als Eva Glawischnig vor zwei Jahren ihr Amt als Grünen-Chefin hinschmiss, gab es ähnliche Befunde.
In konservativen und rechten Parteien scheint das Problem weniger virulent zu sein. Angela Merkel beispielsweise hat sich, soweit bekannt, nie groß über Hindernisse für ihresgleichen beschwert. Die Männer, die ihr im Weg standen, hat sie einfach zeitnah verräumt. Rechts der Mitte wird andererseits auch nicht jede Frau in halbwegs verantwortungsvoller Position gefeiert wie eine Marslandung. Das macht Enttäuschungen leichter verkraftbar.
Niemand wird bestreiten, dass Politik ein sehr hartes Geschäft ist, das sich nicht für jeden eignet. Man braucht eine spezielle psychische Grundausstattung, um die Bedingungen in diesem Metier auf die Dauer zu ertragen. Soziale Medien haben die Situation im Vergleich zu früher noch einmal deutlich verschärft. Wer einen Minister total verblödet und unsympathisch, eine Ministerin übergewichtig und inkompetent findet, kann ihm oder ihr das heute sozusagen persönlich mitteilen; ein Facebook-Account genügt. Wahrscheinlich gibt es mehr Männer als Frauen, die so etwas halbwegs unbeschadet wegstecken. Das kann man traurig finden, ändern lässt es sich schwerlich. Ob Frauen wirklich so viel mehr und so viel unfairer kritisiert werden als Männer, bleibt eine Frage der Perspektive. Vor einer abschließenden Antwort empfiehlt sich ein kurzer Blick zurück auf den österreichischen Präsidentschaftswahlkampf: Manche Postings über Alexander Van der Bellen (alt, angeblich sterbenskrank) und Norbert Hofer (behindert, geht am Stock) waren in ihrer Gehässigkeit kaum zu toppen.
Es wäre ein echter Dienst am Feminismus, den Frauen zuzugestehen, dass sie ohne genderspezifische Feindeinwirkung scheitern können. Die Machos braucht dafür kein Mensch.