Rosemarie Schwaiger
Rosemarie Schwaiger: Zähnefletschen versus Schönwetterprosa

Rosemarie Schwaiger: Zähnefletschen versus Schönwetterprosa

Österreichs Regierung legt sich mit den Vereinten Nationen an. In Wahrheit geht es beiden Seiten nur um Symbolpolitik.

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Die Opposition ist empört. Aus dem Ausland kommen Warnungen und heftige Kritik. Vizekanzler Heinz-Christian Strache konnte in der „ZIB 2“ die Botschaft loswerden, dass Österreich eine „mutige Vorreiterrolle“ einnehme. Nicht zu vergessen: Die „Kronen Zeitung“ ist begeistert.

Mission accomplished, könnte man sagen. Die Marketingabteilung der Regierung hat ganze Arbeit geleistet. Mit der Ankündigung, den UN-Migrationspakt nicht zu unterschreiben, ist Schwarz-Blau ein fulminanter Zwischenwahlkampf gelungen. Mag sein, dass die ÖVP ursprünglich nur widerwillig dem Wunsch der FPÖ folgte. Das Ergebnis kann sich trotzdem sehen lassen. Wir gegen alle: Das zieht bekanntlich immer. Und jeder Experte, der großzügig seine Reputation aufs Spiel setzt, um vor Publikum zu behaupten, dass Österreich nun völlig isoliert dastehe, verstärkt noch die Wirkung dieses David-gegen-Goliath-Narrativs.

Aber ganz so einsam wird es nicht werden. Auch die großräumige Aufregung über Österreichs jüngsten Streich folgt den Gesetzen des Marketings. Das sind leider die Spielregeln, nach denen heutzutage diskutiert wird. Jeder posiert nur für den Beifall seines jeweiligen Publikums. Die richtige Welt kann sich derweil ungestört weiterdrehen.

Ginge es um ernst gemeinte Bedenken, hätte man das anders regeln können.

Versuchen wir es mal mit ein paar Fakten: Österreichische Politiker und Beamte haben den Migrationspakt mitverhandelt und in zwei Jahren kein kritisches Wort darüber verloren. Dass die Regierung erst jetzt, etwas mehr als einen Monat vor der feierlichen Unterzeichnung, die Gefährlichkeit des Papiers entdeckt haben will, fällt mindestens in die Kategorie schlechtes Benehmen. Ginge es um ernst gemeinte Bedenken, hätte man das anders regeln können. Aber weder werden die Vereinten Nationen jetzt ihre Niederlassung in Wien aufgeben, noch muss Österreich in der Staatengemeinschaft künftig als Paria in einem Winkerl sitzen. So zimperlich kann ein Verein nicht sein, dem fast alle Länder dieser Erde angehören – finstere Diktaturen und Unrechtsregime inklusive.

Wenn er ein paar Mal darüber geschlafen hat, wird UN-Generalsekretär António Guterres über die Provokation der Österreicher (der wahrscheinlich weitere Abweichler folgen) vielleicht ganz froh sein. Bis vor Kurzem litt der „Globale Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration“ (so der volle Titel) vor allem unter Nichtbeachtung. Von einer qualifizierten Öffentlichkeit wahrgenommen wurde lediglich, dass die USA und Ungarn nicht dabei sein wollen. Worum es auf den 34 Seiten im Detail geht, interessierte lange nur die damit befassten Beamten. Nun sorgt die Aufregung über Österreichs Regierung dafür, dass der Pakt von einigen Fans schon als Meilenstein bei der Lösung des Migrationsdilemmas dargestellt wird.

Es macht beim besten Willen keinen Unterschied, ob ein Land mehr oder weniger ein Statement signiert, das selbst für die Unterstützer keinerlei politische Konsequenzen hat.

Das ist zu viel der Ehre. Die schiere Existenz dieses Papiers beweist seine inhaltliche Harmlosigkeit. Wäre am Beginn der Beratungen der Ehrgeiz gestanden, realpolitisch etwas in Bewegung zu bringen, gäbe es heute keinen gemeinsamen Text. Dafür driften die Interessen der UN-Mitgliedsländer gerade beim Thema Migration zu weit auseinander. Ein afrikanisches Auswanderungsland wie Nigeria hat einen völlig anderen Blick auf die Notwendigkeiten als europäische Wohlfahrtsstaaten wie Schweden oder Deutschland. Folglich wimmelt es im UN-Papier von Plattitüden. „Migration sollte nie ein Akt der Verzweiflung sein. Ist sie es dennoch, müssen wir zusammenarbeiten, um den Bedürfnissen von Migranten in prekären Situationen Rechnung zu tragen, und die jeweiligen Herausforderungen angehen“, heißt es etwa. Atmosphärisch kann man den Text in weiten Teilen als den gut gemeinten Versuch betrachten, sich die Welt ein bisschen schöner zu malen, als sie ist. Migration sei „eine Quelle für Wohlstand und Innovation“, ist weiter zu lesen. Historisch betrachtet stimmt das. Wer jetzt nicht mehr daran glaubt, kann dennoch unbesorgt sein Kreuzerl machen. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass jeder Staat weiterhin die Einwanderungspolitik machen darf, die er für richtig hält.

Letztlich prallen im aktuellen Disput zwischen Österreich und den Vereinten Nationen zwei Versionen von Symbolpolitik aufeinander: Hier das österreichische Zähnefletschen im Auftrag des Boulevards und einiger rechter Agitatoren, dort die Schönwetterprosa einer ehrwürdigen Institution, die nur noch eingeschränkt an ihre Gestaltungskraft glaubt. Mit spürbaren Auswirkungen auf das echte Leben da draußen ist in beiden Fällen nicht zu rechnen. Es macht beim besten Willen keinen Unterschied, ob ein Land mehr oder weniger ein Statement signiert, das selbst für die Unterstützer keinerlei politische Konsequenzen hat.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen meldete sich am Freitag vergangener Woche via Facebook zu Wort. Er hoffe sehr, dass die Regierung alles daransetzen werde, den drohenden Verlust von Ansehen und Glaubwürdigkeit auf internationaler Ebene abzuwenden, schrieb er. „Österreichisch ist es jedenfalls, im Gespräch zu bleiben.“

Einer Versöhnung mit dem Rest des Universums sollte also nichts im Wege stehen.

Rosemarie Schwaiger