Gas-Kommission: Wozu das Ganze?
90 Prozent. So hoch war der Anteil russischen Erdgases an den heimischen Gasimporten im Mai. Russland liefert, und Österreich nimmt ab. Daran hat sich seit Kriegsbeginn nichts geändert. Trotz aller Bemühungen, neue Gaslieferquellen anzuzapfen. Trotz aller Versprechen, die Energieabhängigkeit von Russland zu reduzieren. Nur kurz, 2022, kam fast kein Gas aus Russland. Aber nicht, weil die Versuche, Abhängigkeiten zu reduzieren, fruchteten, sondern weil Russland einfach nicht geliefert und so die Energiepreise in ungeahnte Höhen katapultiert hat. Nach zweieinhalb Jahren Krieg samt Erpressung über den Gashahn ist das keine gute Bilanz für die Regierung.
Ein Großteil dieser Abhängigkeit ist auf den Gasliefervertrag zwischen dem heimischen teilstaatlichen Mineralölkonzern OMV und der staatlichen russischen Gazprom zurückzuführen, dessen Inhalt bisher strenger gehütet wurde als so manche Staatsgeheimnisse. Und den soll jetzt eine von Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) eingesetzte „Gas-Unabhängigkeitskommission“ rund um die Vorsitzende Irmgard Griss, WIFO-Chef Gabriel Felbermayr und den ehemaligen E-Control-Chef Walter Boltz einsehen und Auswege aus dieser vertraglich besiegelten Abhängigkeit finden.
Die Frage ist aber: Warum erst jetzt? Und was dann? Vertragspartnerin ist die OMV, und nur sie allein kann rechtliche Schritte setzen. Das wurde auch von allen Seiten betont, wohl um keine falschen Hoffnungen zu schüren. Ungefähr 60 Milliarden Kubikmeter Gas bezieht die OMV aus Russland. Seit 2018 ist diese Liefermenge mehr oder weniger unverändert. Das liegt auch an der sogenannten „Take-or-Pay“-Klausel, die in solchen Verträgen grundsätzlich üblich ist. Also nimm das Gas oder lass es bleiben, aber zahlen musst du trotzdem, liebe OMV.
Antworten nicht im Vertrag
Jetzt ist der Vertragsinhalt zwar geheim, aber im Sinne der Rechtssicherheit und Unmissverständlichkeit solcher Verträge handelt es sich hierbei wohl um einen Standard-Energieliefervertrag, in dem die Lieferkonditionen festgeschrieben sind: etwa dass Gazprom bis Baumgarten liefern muss – sowie Liefermengen, Preisgestaltung und Lieferdauer. Und dass es nicht so einfach ist, vorzeitig auszusteigen. Spannender als der Inhalt ist, wie er zustande gekommen ist. Warum hat man ihn 2018 unter dem damaligen OMV-Chef Rainer Seele zehn Jahre vor Auslaufen des Vorgängervertrags bis 2040 verlängert? Übrigens im Beisein von Russlands Präsident Wladimir Putin und Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Warum hat man dabei die Liefermenge noch einmal erhöht, wenn doch auch auf EU-Ebene klar war, dass man CO2 reduzieren und nach und nach aus fossilen Energieträgern aussteigen will? Die Antworten finden sich mit Sicherheit in keinem Gasliefervertrag.
Dass die Gas-Kommission keinen versierten Schiedsrichter als Mitglied hat, ist auch ein Manko. Rechtsstreitigkeiten zwischen OMV und Gazprom werden nicht am Handelsgericht in Wien ausgefochten, sondern höchstwahrscheinlich vor einem internationalen Schiedsgericht in Stockholm. Energieverträge wie dieser enthalten so gut wie immer Schiedsklauseln und unterliegen nicht nationalen Gesetzen.
Man sucht Lösungen für ein Problem, dass sich womöglich schon bald von selbst erledigt.
Man sucht Lösungen für ein Problem, dass sich womöglich schon bald von selbst erledigt. Ab dem 1. Jänner 2025 ist die Ukraine nicht mehr vertraglich verpflichtet, russisches Gas durch ihr Staatsgebiet zu leiten. Und die zuständige Naftogaz hat schon vor einem Jahr angekündigt, dass sie den Teufel tun wird und sich mit Gazprom erneut an den Verhandlungstisch setzt. Wenn Gazprom nicht bis Baumgarten liefern kann, würde das vermutlich auch ein Schiedsgericht als Vertragsbruch und Ausstiegsgrund gelten lassen. Und das hat die OMV mit Sicherheit schon geprüft.
Dem Konzern kommt die Nachschau nicht ungelegen. Seit Monaten betont der Vorstand, dass man die direkten Vertragskunden ohne Probleme aus anderen Quellen versorgen kann. Probleme durch einen Lieferstopp bekommen die indirekten Kunden. Zum Beispiel jene Energie- und Industriebetriebe, die ihr Gas auch an der Gasbörse in Wien einkaufen. Dort vertreibt die OMV einen Teil ihres Gases, aber nicht nur. Dort handeln auch ungarische oder slowakische Anbieter, die Gas noch in großen Mengen aus Russland beziehen. Wenn die Leitung ganz gekappt ist, muss schnell neues Gas woanders her. Und das ist zumindest kurzfristig teuer.
Mit dem Gas-Liefervertrag in dieser Form hat in der OMV dem Vernehmen nach jedenfalls niemand mehr so wirklich eine Freude. Der Konzern bekommt mehr Gas aus Russland, als er heute eigentlich braucht. Der Verbrauch ist in den vergangenen zwei Jahren gesunken. Und fürs Image ist es auch nicht unbedingt förderlich, ständig als verlängerter Gashahn Moskaus durch die Medien zu geistern. Da ist eine mit versierten Experten besetzte, unabhängige Kommission eine ordentliche Image-Politur – für die OMV und die zuständige Ministerin.