Satire

Kanzlertanz

Einer fürs Volk, einer mit Herz – oder einer, der es schon ist, ohne groß aufzufallen: Wer wird Ihr Herzblatt?

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Die Ungeduld ist verständlicherweise allenthalben schon übergroß, das Wahlvolk gespannt wie Winnetous Flitzebogen. Aber hier kommt die gute Nachricht: Nur noch 35 Mal schlafen! Und dann wissen wir zumindest schon einmal, wer unser politisches Herzblatt ist. Wenn man den Umfragen Glauben schenken will, dann wird unser relatives Herzblatt allerdings eher aus der Rubrik „Special Interest“ kommen und außerhalb dieser einigermaßen schwer vermittelbar sein. Womit auch die Chance, dass jener Herr, der sich in seinen öffentlich ausgelebten Feuchtträumen schon seit geraumer Zeit zum Volkskanzler heraufimaginiert, diesen Posten nach der Nationalratswahl eher nicht bekleiden wird, bei Licht gesehen gar nicht einmal so klein ist. Sie dürfte ziemlich genau bei 100 Prozent liegen. Ohne Partner wird es halt auch für einen nach der berüchtigten Donald-Trump-Arithmetik mit einer absoluten Mehrheit von 27 oder so Prozent ausgestatteten Volkskanzler eng. Anders sieht das nur die SPÖ, die muss klarerweise ständig vor Blau-Schwarz – in dieser Reihenfolge – warnen, in Ermangelung anderer roter Wahlkampfthemen, die irgendwen interessieren.

Jetzt mag Herbert Kickl zwar mitunter Dinge von sich geben, die durchaus Zweifel an seinem Hauptwohnsitz in der realen Welt aufkommen lassen könnten. Aber er weiß dennoch zweifellos, dass er nicht der nächsten Regierung angehören wird, so viel Realitätssinn hat er zwischen Ivermectin und Kremlmauer allemal noch übrig. Und er will das ja auch gar nicht ernsthaft. Nicht etwa, weil er schon einmal eindrucksvoll bewiesen hat, wie eminent unfähig er als Minister ist – geschweige denn als Kanzler wäre. Kickl wäre kein blauer Tiefwurzler, wenn ihn eigene Inkompetenz irgendwie anfechten würde. Aber der Plan dürfte eher sein, die aller Wahrscheinlichkeit nach zu einer in jedem Fall schwierigen Dreierkoalition gezwungene Gegnerschaft in aller Ruhe scheitern zu lassen, um sich dann beim nächsten Wahlgang als Retter der Nation anzubieten und einen wirklich fulminanten Sieg einzufahren, angesichts dessen man an ihm nicht mehr vorüberkann.

Das Blöde daran ist: Der Plan könnte funktionieren. So, wie die Dinge liegen – und wie sich manche von ihnen weiterentwickeln werden –, wird er sogar mit einigermaßen hoher Wahrscheinlichkeit funktionieren. Aber noch ist es nicht so weit, dieses Mal zieht jedenfalls noch jemand anderer am Ballhausplatz ein. Insofern ist die zunehmende Verzweiflung, mit der die SPÖ spätestens seit ihrem mageren dritten Platz bei der EU-Wahl darauf pocht, dass ihr Kanzlerkandidat überhaupt einer ist, zwar einigermaßen mitleiderregend – aber nicht gänzlich unverständlich. Denn das entscheidende Duell ist ja jenes um Platz zwei, auf welch niedrigem Niveau auch immer. Folgerichtig wirft die SPÖ alles in die Schlacht, was sie aufzubieten hat. Das ist schon an der ersten Plakatwelle zu sehen, wo man, sicherlich nach aufmerksamer Marktbeobachtung, einer erst vor Kurzem ausnehmend erfolgreichen Wahlkämpferin ihr herausragendstes Asset geklaut hat. Denn nach Lena Schilling steht jetzt auch Andi Babler für eine Politik mit Herz. Jö! Wir wollten schon fragen. Damit keine allzu großen Missverständnisse aufkommen, ist aber auf den roten Plakaten neben dem Herz ausdrücklich auch das Hirn dabei – also eindeutig ein Upgrade im Vergleich mit den Grünen. Und wer würde daran auch nur eine Sekunde zweifeln, etwa anhand von Rechenbeispielen wie jenem, demzufolge die mittlerweile berühmte neunköpfige syrische Sozialhilfefamilie nach dem Modell Babler in Zukunft nicht mehr nur mit kargen 4600 Euro, sondern mit zumindest erträglichen 6800 Euro pro Monat rechnen dürfte. Das geht beim Wahlvolk runter wie Öl, da wird der Applaus für die Babler’sche Allzweckwaffe Erbschaftssteuer, mit der die Mittelstands-Turbokapitalismus-Superbonzen das alles finanzieren sollen, immer lauter.

Dass es trotz allem noch zumindest eine kleine Chance auf einen roten Bundeskanzler gibt, liegt hingegen an jemand völlig anderem: an Karl Nehammer. Der Amtsinhaber von Thomas Schmids Handys Gnaden könnte an sich auf den Bonus des Titelverteidigers setzen – wenn er denn einen hätte. Da dem aber leider eher nicht so ist, bleibt nur, ihn als einigermaßen farblosen Verwalter zu präsentieren, von dem man zumindest weiß, dass er als Kanzler nicht sonderlich auffallen wird. Karl Nehammer ist die Garantie für more of the same, und angesichts des Zustandes der ÖVP könnte man das durchaus für eine gefährliche Drohung halten. Die einzige Idee ist in Wirklichkeit auch hier: Wählt uns – weil sonst gewinnen die anderen. Und nach momentanem Stand reicht das für die ÖVP ja sogar.

Und das wiederum sagt quasi alles über die Wahl, vor der wir stehen.

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort