Satire

Märtyrers Mär

Die neueste Rede des Volkskanzlers an seine Nation lag natürlich schon seit Wochen fertig in der Schublade.

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Meine lieben Freunde!

Ich wende mich an euch in einer der bittersten Stunden für die Demokratie – wahrscheinlich sogar ihrer allerbittersten, seit der Gründervater, unser aller Jörg Haider, sie einst erfunden hat. Ich weiß, wenn es in dieser für euch, die ihr ja niemanden habt außer mir, in dieser so schweren Stunde, in der eure Stimme rücksichtlos von den Stiefeln des Systems in den Dreck getreten wird, überhaupt einen Trost geben kann, dann ja wohl den Wohlklang der Stimme von mir – von eurem heiligen Herbert, eurem Märtyrer. Den das System kaltblütig auf seinem Götzenaltar geopfert hat!

Mein Volk, ich kann deine Tränen sehen und dein Wehklagen hören. Du weinst zu Recht, weil du weinst ja schließlich um mich. Noch niemals zuvor in der Geschichte der Volkskanzler – wurde einer keiner, obwohl er ein Naturrecht darauf hat. Und lasst euch bloß nicht einreden, dass es dieses Recht gar nicht gibt! Zum ersten Mal in der Geschichte der Volkskanzler rotten sich alle anderen Parteien, diese ganzen traurigen Verlierer, zusammen und sagen: Der Wille des Volkes ist uns wurscht. Wir sind zwar die Minderheit – aber das macht ja nichts, weil wir ja sowieso nur für irgendwelche Minderheiten Politik machen! Und uns die Mehrheit – also ihr, meine lieben Freunde – vollkommen egal ist. Und dann, damit sie das irgendwie notdürftig kaschieren können, dann kommen sie daher mit den ganz billigen Ausreden, faseln etwas daher von Verhältniswahlrecht und was weiß ich noch alles. Ja, eh ist das ein Verhältniswahlrecht! Weil man dadurch wieder einmal ganz klar sieht, was für unglaubliche Verhältnisse bei uns herrschen und wie weit die Diktatur der angeblich so Wohlmeinenden schon gediehen ist!

„Zuckerl-Koalition“ nennen sie diese ungenießbare Mischkulanz, die sie jetzt zusammenpanschen wollen – wenn sie sie denn überhaupt zusammenbringen. Die Frage ist nur, wen sie mit diesen grauslichen, pickigen Zuckerln in den schiachsten Gagerlfarben, die ma sich vorstellen kann, denn hinterm Ofen hervorlocken wollen. Von denen kriegt man ja höchstens faule Zähne! Koalitions-Karies kriegt man da! Gut, wenn man schon die dritten oder die vierten hat, wie der Chef von dem antidemokratischen Haufen, unser allseits geschätzter Herr Bundespräsident, dann kann es einem vielleicht schon egal sein. Aber wir anderen kriegen nur fürchterlich Zahnweh davon – und das ist es, was unserer Heimat, unserem schönen Österreich, unserer früheren Insel der Seligen jetzt droht. Und bald werden wir alle eine Wurzelbehandlung brauchen, schönen Dank dafür.

Mich haben in den letzten Tagen viele verzweifelte Landsleute angesprochen, die nicht verstehen können, was da gerade passiert. Ein alter Mann, der mir erzählt hat, ihn erinnert das alles an unselige, längst vergangen geglaubte Zeiten. Sag ich: „38?“ Darauf er: „Nein. 46!“ Ja, so weit simma schon wieder! Oder die junge Mutter, die mich, während sie mir ihr süßes Baby zum Segnen entgegengehalten hat, mit schreckensgeweiteten Augen gefragt hat: „Was soll denn jetzt nur aus ihm werden?“ Sie alle können nicht verstehen, dass ein Sieg am End keiner sein soll. Und sie alle eint – neben einem gesunden Misstrauen gegenüber den Grundrechnungsarten – ihre Wut, diese grelle, weißglühende Wut, die immer größer wird. Die Wut auf alles und jeden, der uns im Weg steht. Der sich dem Volkswillen nicht beugen will. Der glaubt, er kann uns mit irgendwelchen hinterfotzigen Taschenspielertricks wie „1 + 1 = 2“ von der Macht fernhalten.

Aber wahrlich, ich sage euch: Der Weg zur Erlösung mag mit Dornen, äh …, gepflastert sein. Und mit den Panzersperren des Systems verbarrikadiert! Und von den Giftströmen der selbst ernannten Eliten überflutet! Aber wird uns das aufhalten? Niemals! Wir werden ihn trotzdem bis zum Ende gehen, wir lassen uns nicht mehr aufhalten! Ich verspreche euch hoch und heilig, liebe Freunde, dass ich euch hinters …, äh …, da ist jetzt ein blöder Fehler im Manuskript …, es is ein Wahnsinn, wenn ma nicht alles selber macht …, ins! ins Licht werd ich euch natürlich führen, nichts anderes erwartet ihr ja von mir. Und wenn wir dann einmal dort sind, dann genehmigen wir uns ein Flascherl, das versprech ich euch auch. Wir haben da nämlich noch einen Haufen Krimsekt im Keller, den haben wir schon eingelagert, bevor die unseligen Sanktionen gekommen sind. So sind wir nämlich. Immer klug und umsichtig. Wir überlassen nichts dem Zufall.

So, und jetzt zeig ich euch noch meine Wundmale. Mag vielleicht wer ein Selfie mit ihnen?

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz