Kolumne

So wenig Leistung für so viel Staat

In den Schulen fehlt es an Lehrkräften, in den Spitälern an Pflegepersonal. Gleichzeitig knacken die Steuereinahmen die 100-Milliarden-Euro-Marke.

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Es sind unglaubliche Szenen, die sich an einer Volksschule in Wien-Hernals abspielen. Wie das Team des Newsletters „Falter.morgen“ berichtet, haben die Kinder einer dritten Klasse oft nur an drei Tagen in der Woche Unterricht, den Rest der Zeit werden sie in Gruppen anderen Klassen zugeteilt und erledigen am Boden sitzend die ihnen zugeteilten Arbeitsaufträge. An schlechten Tagen müssen sich die Kinder einen Platz am Gang suchen. In Summe gab es für die Kinder im ersten Halbjahr an 20 Tagen keinen Regelunterricht. Der Grund: Die der Klasse zugeteilte Lehrerin hat kurz vor Schulbeginn das Weite gesucht und die für Volksschulen zuständige Stadt Wien offensichtlich keinen Ersatz gefunden. Einspringen musste eine Lehramtsstudentin, die unter der Woche aber auch Vorlesungen und Seminare besucht und entsprechend oft fehlt. Diese Schule dürfte kein Einzelfall sein, in vielen Bildungseinrichtungen wird über akuten Lehrermangel geklagt, aber nicht überall finden die unglaublichen Zustände ihren Weg an die Öffentlichkeit.

Franz Schellhorn

Der Direktor des Thinktanks Agenda Austria schreibt regelmäßig Gastkommentare für profil.

Ähnliche Szenen kennt man in Österreich sonst nur aus den öffentlichen Spitälern. Patienten müssen sich zwar (noch) nicht selbst behandeln, aber viele Betten können seit Monaten nicht belegt werden, weil es an Arbeitskräften fehlt. In Wiener Spitälern werden immer wieder „Gefährdungsmeldungen“ versendet, weil es zu wenig Pflegepersonal gibt. Im Oktober vergangenen Jahres warnte die Urologie des AKH vor einem Versorgungskollaps, der mit dem „sukzessiven Verfall der pflegerischen Strukturen“ begründet wurde. Bis zu 70 Prozent der Betten mussten gesperrt und zahlreiche Operationen verschoben werden. 

Allein in Wien kann jedes sechste Spitalsbett aufgrund des Pflegenotstands nicht genützt werden. In den Bundesländern sieht es nicht viel besser aus; es fehlt nicht nur an Pflegekräften, sondern auch an Ärzten und medizinisch-technischem Personal. Wer einen Kinderarzt sucht, hat ohne teure Privatversicherung kaum Chancen auf rasche Versorgung. Auf 5000 Kinder kommt ein Kinderarzt mit Kassenvertrag. Wer einen Facharzttermin braucht und nicht zufällig den passenden Mediziner in seinem Freundeskreis findet, muss darauf vertrauen, dass sich die vermutete Krankheit so viel Zeit lässt wie das heimische Gesundheitswesen. Monatelange Wartezeiten sind keine Seltenheit. Gesundheitsminister Johannes Rauch warnte unlängst davor, dass das Gesundheitssystem ohne Reformen an die Wand gefahren werde. Was der für das Gesundheitssystem zuständige Gesundheitsminister zu tun gedenkt, um genau das verhindern? Man weiß es nicht. 

Jetzt wird niemand behaupten wollen, dass die Stadt Wien den Bach runtergehe. Aber von der bestverwalteten Metropole der Welt redet schon auffällig lange niemand mehr. Wer etwa pünktlich zur Arbeit will, braucht lange Beine oder ein schnelles Auto. Auf die öffentlichen Verkehrsmittel ist seit geraumer Zeit jedenfalls kein Verlass mehr. Wartezeiten von bis zu 40 Minuten in eisiger Kälte sind keine Ausnahme. Warum das alles nicht mehr so recht funktionieren will? Weil die Wiener Linien aufgrund des eklatanten Personalmangels die Intervalle „verlängert“ haben. 

Die Wiener Verkehrsbetriebe haben wie die Spitäler das große Glück, kein Gasthaus zu sein. Andernfalls würden ÖGB und Arbeiterkammer längst eine bissige Kampagne gegen die beiden Sektoren lancieren und wahlweise die schlechten Arbeitsbedingungen oder die zu niedrigen Löhne für den eklatanten Personalmangel verantwortlich machen. In diesem Fall ist von den Arbeitnehmervertretern kein Mucks zu hören. Woran das wohl liegen mag? Jedenfalls nicht an Unzuständigkeit: Es sind stets die Beschäftigten, die am meisten unter dem Kollegenschwund  zu leiden haben. ÖGB und AK wären also gefordert.

Wer ein Fünf-Sterne-Hotel bezahlt hat, akzeptiert keine Gemeinschaftsdusche.

Was immer der Grund für die dramatisch schlechter gewordenen staatlichen Leistungen sein mag, fehlende finanzielle Ressourcen können es nicht sein. Der Staat schwimmt regelrecht im Geld. Finanzminister Magnus Brunner wird in die Geschichte eingehen: Im vergangenen Jahr knackten die Steuereinnahmen erstmals die 100-Milliarden-Euro-Marke. Das große Glück der Regierungen auf Landes- und Bundesebene ist, dass sich von den ausgequetschten Steuerzahlern offenbar keiner fragt, wofür ihr Geld eigentlich verwendet wird. Die aktuelle Mangelwirtschaft scheint niemanden zu empören. Stattdessen erregen sich die Österreicher lieber über milliardenschwere Gewinne der (staatlichen) Energiekonzerne.

Die hohen Steuern werden spätestens dann zum Problem, wenn die Gegenleistung nicht mehr passt. Ein Staat, der seinen Bürgern so viel Geld wegnimmt, wie Österreich das tut, muss dafür wenigstens erstklassige Dienstleistungen liefern. Bei einer Urlaubsbuchung würde das wohl jeder genauso sehen; wer ein Fünf-Sterne-Hotel bezahlt hat, akzeptiert keine Gemeinschaftsdusche. Staatsbürger sollten nicht weniger anspruchsvoll sein und einfordern, wofür sie bezahlen. Sonst wird sich an den Zuständen in den Schulen und Spitälern so schnell nichts ändern.