Leitartikel

Schon wieder die größte Gesundheitsreform aller Zeiten

Gesundheitsminister Rauch sorgt für einen Paradigmenwechsel. Gut: Die Macht der Ärztekammer wird endlich beschnitten. Schlecht: Das Leben eines Menschen soll ein Preisschild bekommen.

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Gesundheitsminister Johannes Rauch wollte eigentlich nie unbedingt Minister werden und hat mit 64 Jahren nach der ersten Runde 24-Stunden-Job genug. Schon vor Monaten hat er angekündigt, nach dieser Legislaturperiode zu gehen. Damit war er trotzdem länger im Amt als seine beiden grünen Vorgänger. Und trotz kurzer Zeit in der Regierung will er Epochales hinterlassen. Und das ist – laut eigener Aussage – nichts Geringeres als die „größte Gesundheitsstrukturreform der vergangenen Jahrzehnte“.

Nun ist es nicht gerade Jahrzehnte her, dass ein gewisser Ex-Kanzler Sebastian Kurz Ähnliches von sich behauptete. Die neun Länderkrankenkassen sollten zusammengelegt werden, um daraus die berühmte Patientenmilliarde zu generieren. Tatsächlich hat diese angeblich größte Strukturreform aller Zeiten bis 2028 eher 1,2 Milliarden Euro Kosten am Kerbholz – und einfacher oder signifikant besser geworden ist davon auch nichts.

Rauch sollte mit Superlativen vorsichtig sein, denn das Gesundheitssystem in Österreich ist derart verfahren und kompliziert, dass eine echte Reform ein Ding der Unmöglichkeit scheint. Zur Vereinheitlichung und Vereinfachung müsste man wohl den Föderalismus in diesem Bereich abschaffen. Aber man braucht sich keine Illusionen machen: Das wird nie passieren.

Trotzdem hat Rauch tatsächlich etwas Bahnbrechendes geschafft: Die über Jahrzehnte absurd mächtig gewordene Ärztekammer wird zurückgestutzt. Bisher war die Kammer nicht nur Interessensvertretung, sondern hatte ein gewichtiges Wort bei der Versorgungsstruktur mitzureden – etwa wer wo und wann eine Praxis eröffnen darf. Als Kanzler Karl Nehammer vollmundigst erklärte, dass es bis Ende des Jahres Hunderte neue Kassenplätze geben wird (die es freilich nicht gibt), hat er seine Rechnung ohne die Ärztekammer gemacht. Diese Vormachtstellung soll sich mit einem Parlamentsbeschluss noch dieses Jahr ändern. Gut so!

Wir leiden unter Fachkräftemangel im medizinischen Bereich. Das wird nur zu stemmen zu sein, wenn der niedergelassene Bereich gestärkt und in Form von Primärversorgungszentren ausgebaut wird. Dass der mit den Ländern vereinbarte Finanzausgleich nun ausgerechnet wieder die Spitalsambulanzen stärken soll, steht auf einem anderen Blatt. Aber auch der nächste Gesundheitsminister soll ja eine Chance auf „die größte Gesundheitsreform der letzten Jahrzehnte“ haben. Man kann Rauch aber zugestehen, etwas geschafft zu haben. Gleichzeitig ist er drauf und dran, den größten Paradigmenwechsel zu Lasten von Patienten einzuleiten. Er will im Ministerium ein Medikamentenboard einrichten, das darüber entscheidet, welche Medikamente in Spitälern eingesetzt werden dürfen. Das hat einen vernünftigen Hintergrund: Bisher haben Patienten nämlich nicht in allen Landeskrankenhäusern dieselben Therapien bekommen. In der Steiermark zum Beispiel wurden teure Krebstherapien häufig nicht bezahlt, die in Salzburg aber zum Einsatz kamen. Der Grund, warum das so gehandhabt wurde, war wohl ein wirtschaftlicher: Die Spitalskosten sind für die Länder in den vergangenen Jahren teils explodiert. Obwohl Rauchs Ansinnen richtig ist, nämlich die Behandlung der neun Länder zu vereinheitlichen, ist der Schluss, den er daraus zieht, falsch. Das Board soll nämlich auch über den Einsatz von teuren und seltenen Medikamenten nach wirtschaftlichen Kriterien entscheiden. Der Wert eines Menschen und seine Gesundheit haben damit ein Preisschild bekommen.

Ärzte müssen künftig begründen, warum sie ein nicht gelistetes Medikament einsetzen wollen, das muss dem entscheidenden Board vorgelegt werden. Die Patienten haben keine Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen, wenn eine Behandlung verweigert wird. Das ist im niedergelassenen Bereich anders: Dort entscheidet bei Verweigerung am Ende ein unabhängiges Gericht. Ob Rauchs Ansinnen verfassungsrechtlich hält, ist fraglich – die Europäische Menschenrechtskonvention sieht ein Recht auf Leben vor.

Dazu kommt, dass der Forschungsfortschritt wohl massiv gebremst wird, wenn Medikamente in Forschungs- und Entwicklungsstadien nicht mehr zum Einsatz kommen. Österreich wird seine Vorreiterstellung in manchen Bereichen nicht halten können. Die „größte Gesundheitsreform der letzten Jahrzehnte“ müsste unter einem Vorzeichen angegangen werden: Man müsste sich darauf einigen, dass das Patientenwohl oberste Prämisse ist. Das geht vom Nahtstellenmanagement über koordinierten Medikamenteneinkauf bis dorthin, dass man hochausgebildeten Fachärzten vertraut, dass sie wissen, was die beste Behandlung für ihre Patienten ist. Denn diese Mensch-zu-Mensch-Einschätzung kann kein theoretisches Ministeriumsboard der Welt ersetzen.

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.