Sebastian Hofer: Geschlechter Scherz

Warum Nina Prolls Argumentation schwer zu ertragen ist (auch für Männer).

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Auf unseren Straßen herrschen amerikanische Verhältnisse. In der 50er-Zone fahren die meisten Verkehrsteilnehmer ungefähr 50 km/h. Wenn sie das Ortsgebiet verlassen, beschleunigen sie und pendeln sich irgendwo bei 100 km/h ein. Niemand fährt gegen die Einbahn und nur sehr verwirrte Touristen in die Fußgängerzone. Es gibt Regeln. Die Leute halten sich daran. Kein Mensch käme auf die Idee, sich von der StVO in seinem Urbedürfnis nach Geschwindigkeit beschränkt zu fühlen. Am Gasfuß funktioniert der Triebverzicht. Range-Rover-Fahrer halten an roten Ampeln, selbst wenn im Querverkehr nur Enten unterwegs sind. Das Recht des Stärkeren ist, auf Österreichs Straßen, domestiziert.

Warum das im Umgang von Männern und Frauen so schwierig sein soll, bleibt ein Rätsel. Wer in diesem Zusammenhang vor „amerikanischen Verhältnissen“ warnt, meint: Wenn Männer und Frauen, wie das in den politisch überkorrekten USA angeblich der Fall ist, nur noch per Anstandsregelbuch miteinander verkehren dürfen, dann können wir Sex ja gleich verbieten. Weil ohne Sexismus hört sich der Spaß ja wohl wirklich auf.

Nina Proll hat mit diesem Argument zuletzt für einige Furore gesorgt. Es war hoffentlich ironisch gemeint: „Am besten, wir verbieten Männer! Dann können wir Frauen endlich in Ruhe Karriere machen, ohne dass uns irgendein Mann oder Kind daran hindert oder dabei belästigt.“ Wie sie es genau gemeint hat, erklärt sie im Interview im aktuellen profil, wie es verstanden wurde, sagt leider alles: Das Frauenversteherblatt „Österreich“ nützte die Gelegenheit, um Nina Proll im Ganzkörper-Fischernetz abzubilden, und Altherrenwitz Michael Jeannée gratulierte per „Liebesbrief“: „Top, sexy Nina, top, top, top“. Endlich eine Frau als Kronzeugin: blöde Korrektheit, depperter Feminismus, versauen einem ja noch den schönsten Damenspitz.

Auch ich habe schon sexistische Witze erzählt. Auch ich habe erlebt, dass Frauen zu etwas überredet wurden, was sie eher nicht wollten. Ich habe immerhin fünf Jahre in einem Studentenheim gelebt. Wenigstens ging es dabei nicht um Geld oder Jobs. Es ging um Küsse, ums Brüstezeigen. Es war sexistisch, aber meistens auf eine kindische Art, was es nicht besser macht, obwohl es zweifellos Schlimmeres gibt.

Auch ich habe mitbekommen, wie Frauen von Männern in ihrem Beruf nicht für voll genommen wurden, und habe nichts dagegen gesagt. Auch ich habe Kolleginnen in Sitzungen unterbrochen, weil ich meine eigene Meinung in dem Moment für sehr viel wichtiger hielt. Das war in erster Linie egoistisch, in zweiter Linie aber eben leider auch sexistisch.

Niemand wird zum Opfer, wenn er Taten anzeigt. Opfer-Sein hieße: Schweigen. Ertragen. Still bleiben.

Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, sagen die, die #MeToo schon lange nicht mehr hören können. Man könne schlechtes Benehmen nicht mit körperlicher Gewalt gleichsetzen. Macht aber auch niemand. Unbewusst haben sie es eh verstanden (sonst würden sie nicht so gereizt reagieren): Das eine entsteht aus dem anderen, der Übergriff aus dem Unrechtsbewusstsein.

Was ich wiederum nicht verstehe: Warum meinen so viele Frauen, dass #MeToo und die Debatte darüber Frauen pauschal als Opfer abstemple? Das Selbstverständnis der subjektiv Unbetroffenen wird ja mit der objektiven Benennung von Taten nicht beschädigt. Außerdem wird niemand selbst zum Opfer, wenn er Taten anzeigt und Täter nennt. Opfer-Sein hieße: Schweigen. Ertragen. Still bleiben. Werden Vergehen nicht benannt, können sie nicht bekämpft werden. Werden Ungerechtigkeiten hingenommen, bleiben sie halt bestehen. Die, die jetzt behaupten, dass jede Frau ihre Glückes Schmiedin sei (sie kann ja immer noch den Job mit dem unerträglichen Chef kündigen, oder, noch besser, die blöden Sprüche als Kompliment begreifen), befürwortet tatsächlich amerikanische Verhältnisse: Solidarität? Geh bitte.

Ich kann es nicht mit allerletzter Sicherheit sagen, bin aber doch einigermaßen überzeugt davon, dass es nicht wahnsinnig schick ist, #MeToo zu sagen, und dass es keinen großen Spaß macht, einen Vorgesetzten wegen sexueller Belästigung anzuzeigen. Es ist halt leider immer noch notwendig. Es gibt im Verhältnis von Männern und Frauen, auch in Österreich, immer noch jede Menge Ungerechtigkeiten. Die einen sind eher Chefs, die anderen eher nicht. Den einen wird als Kind erklärt, dass ihnen die Welt untertan ist, die anderen sind eben Teil der Welt. Gesetze helfen, solche Ungleichgewichte auszutarieren. Im Interesse aller. 50 km/h: im Ortsgebiet. Rasen: auf der deutschen Autobahn. Wer sich nicht daran halten kann, muss mit den Konsequenzen rechnen.

Es gibt kein Gesetz, das sexistische Sprüche gegenüber Nina Proll verbietet, solange Nina Proll diese Sprüche gern hört.

Es ist übrigens auch für Männer gar nicht so schwierig zu verstehen (wer das Gegenteil behauptet, belügt im besten Fall sich selbst), dass es eine sehr klare Grenze gibt zwischen Flirt und Übergriff. Und es kommt noch besser: Es gibt kein Gesetz, das sexistische Sprüche gegenüber Nina Proll verbietet, solange Nina Proll diese Sprüche gern hört. Sollte sie dieselben zu einem anderen Zeitpunkt einmal nicht mehr als charmant empfinden, ist sie vielleicht ganz froh darüber, dass es dafür anerkannte Regeln gibt.

Wem Paragrafen zu weltfremd sind, der kann es aber auch gern mit einer ziemlich deppensicheren Regel versuchen: Nein heißt nein, und nicht: Probier’s nochmal.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur und ist seit 2020 Textchef dieses Magazins.