Über die Klima-Aktivisten der „Letzten Generation“ ergießt sich gerade eine Welle von Hohn, seit bekannt wurde, dass zwei ihrer tapferen Stadt-Guerilleros einen Gerichtstermin in Stuttgart wegen einer vorangegangenen Klebe-Aktion leider nicht wahrnehmen konnten – weil sie nämlich nach Thailand geflogen waren. Die „Letzte Generation“ reagiert jetzt auf diese bedauerliche Makro-Aggression, wie es heutzutage bei den immer zahlreicheren von Natur aus seeehr empfindsamen jungen Menschen handelsüblich ist: mit tief beleidigtem Unwohlsein. Und mit dem beliebten Stilmittel des Whataboutisms: Denn Doppelmoral, so der kluge Konter, gebe es bei den bösen Kritikern ja wohl auch! Und, besonders putzig: Die beiden modernen Helden seien ja auch gar nicht als Klima-Kleber ins Südostasiatische gejettet – sondern als Privatpersonen! Es geht eben nichts über eine gesunde Work-Life-Balance.
Zuerst einmal die wichtigste Frage: Hatten Sie einen angenehmen Flug?
Klimakleber 1
Der war schon hart. 10 Stunden in der Holzklasse. Das hält nicht jeder aus.
Und die Business-Class ist halt leider sehr teuer.
Klimakleber 2
Unmoralisch teuer! Das hätte Papi nie bezahlt.
KK1
Das ist leider wieder einmal ein schlagender Beweis dafür, was im Kapitalismus alles falsch läuft. Vorne sitzen die reichen Säcke mit Beinfreiheit und Champagner und allem. Und hinten – wir. Die voll Unterprivilegierten.
Galoppierende Wohlstandsverwahrlosung ist wirklich etwas Schreckliches.
KK2
Wem sagen Sie das! Wir sehen die auch bei unseren Aktionen Tag für Tag.
Da reicht wohl meistens schon ein kurzer Blick nach links und rechts.
KK1
Aber wir werden unsere unbeugsamen Finger auch noch mutig in diese schwärende Wunde legen, da können Sie sicher sein.
Verstehen Sie eigentlich, dass man sich jetzt gerade ziemlich flächendeckend über die „Letzte Generation“ lustig macht?
KK2
Das kommt leider nicht überraschend. Das sind alles Leute, die sich von uns bedroht fühlen, weil sie nicht einsehen wollen, dass es fünf vor zwölf ist.
Aber was, wenn das viele zwar sehr wohl einsehen, aber gleichzeitig finden, dass sich das Blockieren des Frühverkehrs, damit die Leute nicht in die Arbeit fahren können, eher nicht so gut mit fröhlichen Urlaubs-Fernflügen verträgt? Dass man also mit einem Balken im eigenen Auge vielleicht eher nicht so vehement auf Splittersuche in anderen Augen gehen sollte?
KK1
Diese dauernde Moralisiererei geht mir sowas von auf die Nerven!
Wir könnten uns nicht einiger sein.
KK1
Das ist echt eine erbärmliche Reaktion darauf, dass wir die schwere Bürde auf uns nehmen, den unbedarften Normalbürgern detailliert zu erklären, was sie zu tun und zu lassen haben. Und wer nicht hören will, muss halt fühlen.
KK2
Und außerdem: Was haben wir denn schon groß gemacht? Ich meine, wenn wir uns Dreadlocks geflochten hätten, na gut. Oder bei einer sich selbst als Ligusterhecke lesenden Person rücksichtslos ein falsches Pronomen verwendet. Aber so? Dieses Flugzeug wäre schließlich auch ohne uns geflogen!
Und außerdem waren Sie ja als Privatpersonen unterwegs und nicht als Klimaschützer.
KK1
Nun, einerseits haben wir die Erholung dringend gebraucht. Wir sind schließlich permanent Belastungen ausgesetzt, die ihr Nine-to-five-Systemlemminge ja überhaupt nicht kennt.
profil: Ja. Vor allem Ihre Handflächen.
KK2
Aber da es sich um eine Berufung handelt, sind wir natürlich nie ganz privat. Ich hätte beinahe Übergepäck gehabt, wegen der vielen Suppendosen im Koffer. Ich musste meine ganzen antikolonialistischen Soli-T-Shirts zu Hause lassen.
Aber Sie hätten die Suppe doch auch in Thailand kaufen können.
KK1
Das war uns zu riskant. Wir waren uns nicht sicher, ob die dort in der Dritten Welt Bio-Tomatensuppe aus einer selbstverwalteten Kooperative von alleinerziehenden Transgender-Migrant:innen haben.
Eine berechtigte Sorge. Aber wo haben Sie die denn dann hingeschüttet?
KK2
Auf so eine peinliche goldene Buddhastatue. An der wir uns dann natürlich auch noch angeklebt haben.
Und was haben die Thais gemacht?
KK1
Die sind leider im richtigen Umgang mit zivilem Ungehorsam noch nicht so geschult und haben extrem brutal reagiert.
Oje! Hatten sie am Ende keine Handcreme mit?
KK2
Sie haben uns zwei Tage dort kleben lassen.
Das ist ja nicht zu fassen! Aber… kennen Sie vielleicht das Sprichwort: „When in Rome, do as the Romans do“?
KK1
So ein Blödsinn! Das wäre ja übelste Cultural Appropriation! Aber das versteht einer wie Sie vermutlich nicht.
Nun ja. Sie werden es zwar vielleicht nicht glauben, aber selbst alte weiße Männer waren in aller Regel auch einmal jung und deppert.
KK2
OMG! Hörst du, was der ahnungslose Boomer da sagt?
KK1
Voll cringe! Der glaubt echt, mit uns mithalten zu können.
Na gut. Ich geb mich geschlagen.