Siobhán Geets: Was uns jetzt (nicht) hilft
Es war einer dieser Momente, in denen die Welt stillzustehen scheint. Als am vergangenen Sonntag mein Handy vibrierte, stand ich auf einem Spielplatz in Wien, die Sonne blendete, rundherum gatschverschmierte Kinder auf Klettergerüsten. Auf dem Display erschien die Ankündigung des russischen Präsidenten, seine Nuklearwaffen in Stellung zu bringen. Ich verstand die Push-Nachricht zuerst nicht, las die Worte noch einmal. Es war ein surrealer Moment, die Meldung wollte nicht zur Realität auf dem Wiener Spielplatz passen.
Ich bin zu spät auf die Welt gekommen, um die Bedrohung durch Nuklearschläge im Kalten Krieg erlebt zu haben. Mitte der Achtziger geboren, hat sich diese Gefahr um jeden Zentimeter, den ich größer wurde, Schritt für Schritt aus der Welt entfernt. NATO-Doppelbeschluss, Pershing-Raketen – ich habe es nicht erlebt, ich bekam es später erzählt.
Jetzt weiß ich, wie sich diese Angst anfühlt. Es war ein kribbelndes Gefühl im Bauch, ein Kloß im Hals, der sich nicht wegräuspern ließ. Die Welt schien endgültig außer Kontrolle geraten zu sein.
Mit seiner Maximaldrohung hat Putin einmal mehr gezeigt, wer er ist: Ein in Bedrängnis geratener, größenwahnsinniger Kriegstreiber mit fragwürdiger geistiger Verfassung. Eine solche Drohung ist kein Zeichen von Stärke, im Gegenteil. Sie kam kurz nach den Ankündigungen Deutschlands und der EU, Waffen in die Ukraine zu schicken. Damit hat Putin offenbar nicht gerechnet. Jetzt will er die Welt das Fürchten lehren.
Die Pandemie hat der Angst vor dem Weltuntergang den idealen Boden bereitet.
Ich würde gern sagen: Habt keine Angst! Aber das kann ich nicht, ich fürchte mich auch.
Es hilft allerdings nicht, in Panik zu geraten. Am Montag stürmten die Menschen in die Apotheken, um sich mit Jodtabletten einzudecken. Das Produkt für den privaten Gebrauch ist derzeit wegen Engpässen in der Lieferung von Verpackungsmaterial nicht verfügbar – zum Glück, muss man sagen. Jod kann, falsch eingenommen, zu groben Schäden führen, Menschen über 40 sollen die Tabletten nicht einmal bei einer möglichen Strahlungsbelastung nehmen. Für Jüngere geben die Apotheken das Medikament im Katastrophenfall ohnehin aus. Es ist genug für alle da.
Es hilft nicht, dass wir den Krieg in der Ukraine in Echtzeit über die Sozialen Medien verfolgen können. Dass wir uns bei jedem Bombenanschlag auf ein Wohnhaus fragen müssen, wie viele Menschen dabei getötet wurden. Das ist kein Film, den man jederzeit pausieren kann. Für die Menschen in der Ukraine steht alles auf dem Spiel.
Und wir, hier mitten in Europa? Mit einem Bein stehen wir noch in der Pandemie, mit dem anderen schon im Krieg.
Es hilft nicht, dass wir uns schon seit zwei Jahren in einer Ausnahmesituation befinden. Die Sorge wegen der Pandemie, bis vor kurzem noch unsere größte, erscheint in diesen Tagen wie aus einer fernen Vergangenheit. Doch diese Ängste spielen in die Furcht vor dem Krieg mit hinein. Corona hat viele Menschen vereinsamen lassen. Die Batterien sind leer, bei vielen, jetzt kommt der Krieg dazu.
Die Pandemie hat der Angst vor dem Weltuntergang den perfekten Boden bereitet.
Wir erleben gerade historische Tage, das ist selten angenehm. Gerade ist man noch dabei, das eine einzuordnen, da kommt schon die nächste Eskalation. Das ist auch für uns Journalisten manchmal schwierig. Wir müssen ständig Information verarbeiten, sind dabei aber gut beraten, uns emotional zu distanzieren. Das gelingt nicht immer. Die Ukraine ist unser Nachbar, keine 500 Kilometer sind es von Wien bis zur Grenze. Je näher uns die Menschen sind, die unter dem Krieg leiden, desto größer ist unsere Empathie. Das ist kein Rassismus, wie einige Aktivisten behaupten, sondern zutiefst menschlich. Die Tapferkeit, mit der die ukrainische Bevölkerung Putins Truppen entgegentritt, hat die ganze Welt beeindruckt. Sie kann und darf uns nicht kaltlassen.
Es hilft nicht, jetzt auch in der Wortwahl zu eskalieren. Putin solle ausgeschaltet werden, hieß es vergangene Woche mitunter – nicht nur hinter vorgehaltener Hand. Mordfantasien werden uns genauso wenig weiterhelfen wie die Gleichsetzung Putins mit Hitler oder andere fragwürdige historische Vergleiche. Putin ist Putin, das ist schlimm genug.
Vom Ende des Friedens in Europa seit 1945 war vergangene Woche die Rede oder zumindest vom Ende der Ordnung, wie wir sie seit dem Zerfall der Sowjetunion kennen. Nur: Was kommt danach? Wir wissen es nicht, müssen aber fürchten, dass unseren Kindern der selbstverständliche Frieden, wie wir ihn erlebt haben, genommen wird.
Es hilft nicht zu wissen, dass der Kampf um Demokratie weit über die Ukraine hinausgeht. Die Zahl der demokratischen Staaten schrumpft stetig, unterdrückerische Regime werden mehr, Demokratie und Rechtsstaat sind auch in der EU in Gefahr. Diese Verschiebung hat lange vor dem Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine begonnen und betrifft mit den USA auch die alte „Weltpolizei“. Amerika war in den vergangenen Jahren kein gutes Vorbild.
Wir werden künftig viel mehr über unsere eigene Rolle sprechen müssen, über die Rolle Europas, allen voran der EU. Hier können wir handeln und der Hilflosigkeit, wie sie viele gerade empfinden, etwas entgegensetzen. Womöglich ist jetzt der richtige Moment gekommen, eine neue Friedensbewegung zu gründen, die den Kampf gegen den Klimawandel miteinschließt. Das wäre nicht nur ein Zeichen nach außen, sondern böte auch eine soziale Plattform, auf der man sich austauschen kann.
Im Kampf um die neue Weltordnung können und müssen wir autokratischen Regimen etwas entgegensetzen. Das wird uns helfen.