Robert Treichler
Robert Treichler

Sollen Staaten soziale Netzwerke gesetzlich regulieren?

Facebook soll wieder einmal gezwungen werden, Desinformation zu löschen. Wenn das so einfach wäre.

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Es war einmal eine gute Social-Media-Plattform. Sie hieß Facebook, und ihr Erfinder Mark Zuckerberg wurde 2010 vom US-Magazin „Time“ zur „Person des Jahres“ gekürt. Die Begründung der Redaktion lautete damals, Zuckerberg habe mit Facebook „mehr als eine halbe Milliarde Menschen miteinander verbunden und ihre sozialen Beziehungen kartografiert“. Leider endet das wahre Märchen an dieser Stelle abrupt.

Heute will so gut wie niemandem bei dem Gedanken warm ums Herz werden, dass Facebook mittlerweile 2,85 Milliarden Menschen verbindet. Der Konzern wird vielmehr dafür verantwortlich gemacht, dass auf seinen Netzwerken Desinformation, Wahlbeeinflussung und Verhetzung betrieben und verbreitet werden. Die jüngsten Enthüllungen der Whistleblowerin Frances Haugen belegen, dass Facebook von der Bewältigung dieser Probleme jedenfalls überfordert ist. Ein Vorwurf lautet zudem, dass das Unternehmen möglicherweise aus kommerziellen Gründen gar nicht mal so sehr daran interessiert sei, weil spektakuläre Inhalte das Geschäft ankurbelten.

Bei seiner Gründung hatte niemand ahnen können, dass Facebook eines Tages den weltweiten politischen Diskurs schultern würde. Aber so hat es sich nun einmal entwickelt, und die Frage ist jetzt: Was tun? Wie sollen Staaten – allen voran Facebooks Mutterland USA – gesetzlich regulieren, was dieses und andere soziale Netze und deren Betreiber tun dürfen, tun müssen – und was nicht?

Leider sind die bisherigen Vorschläge sehr unbefriedigend. Hier einer der prominentesten: Demokratische Abgeordnete wollen, dass Facebook während einer gesundheitspolitischen Notsituation (der Anlassfall ist natürlich die Covid-19-Pandemie) von Usern verbreitete medizinische Desinformation löscht oder andernfalls dafür gerichtlich belangt werden kann. Gegenfrage: Was ist medizinische Desinformation? Das, was dem widerspricht, was „Experten oder Expertinnen“ sagen? Leider finden sich auch für jeglichen Unsinn sogenannte Experten, auf die man sich berufen kann, und deshalb wird in dem Gesetzesvorschlag als unbestreitbare Quelle der Gesundheitsminister genannt.

Klingt vernünftig? Na ja, höchstens so lange, bis einem durch den Kopf schießt, dass in den USA bis vor Kurzem Gesundheitsminister im Amt waren, die von einem gewissen Donald Trump ernannt wurden. Die Expertise einer solchen Regierung von Gesetzes wegen als letztgültig wahr festzuschreiben und jegliche Widerrede unter Strafe zu stellen, wäre wohl keine besonders gute Idee.

Immer wieder stoßen Versuche, Facebook zur Säuberung von unerwünschten, potenziell gefährlichen Inhalten zu veranlassen, an die Grenzen der Verfassung: Diese garantiert im ersten Zusatzartikel die Redefreiheit, und kein Gesetz kann einen privaten Konzern dazu zwingen, Äußerungen zu löschen, die in Ausübung dieses Rechts getätigt werden.

Dennoch können Facebook viele Regeln auferlegt werden, um die Gefahren einer Verbreitung von Desinformation zu verringern. Ein Ansatzpunkt sind die Algorithmen, also die Formeln, nach denen das System entscheidet, welche Inhalte bevorzugt gereiht werden. Besonders polarisierender Content kann – per Software oder dank menschlicher Überwachung – zurückgereiht werden. Facebook müsste gezwungen werden, seine Praxis in diesem Bereich gegenüber einer kompetenten Behörde offenzulegen.

Unmittelbar gefährliche Botschaften wiederum müssen rasch gelöscht werden. Das ist – trotz Meinungsfreiheit – möglich, wenn augenfällig strafrechtliche Delikte vorliegen. Ein Beispiel dafür ist das österreichische „Hass im Netz“-Gesetz von 2020. Dafür benötigt Facebook mehr Personal – und zwar angesichts von 1,9 Milliarden täglichen Nutzern viel mehr.

Man muss Facebook zugestehen, dass es nicht ganz einfach ist, aus Milliarden täglicher Postings in allen regionalen Dialekten rund um den Globus diejenigen rauszufiltern, die brandgefährlich sind. Aber ein Konzern, der weltweit auf dem riskanten Gebiet der politischen Agitation tätig ist, hat keine andere Wahl, als sich dieser Aufgabe zu stellen.

Unsere Kolleginnen und Kollegen des „Standard“, dessen Meinungsforum immerhin das größte im deutschsprachigen Raum ist – wenngleich natürlich um Potenzen kleiner als Facebook –, wissen, wie aufwendig es ist, üble Postings zu identifizieren. Sie schaffen das mittlerweile erstaunlich gut. Der Staat sollte Facebook und allen anderen Social-Media-Giganten vernünftige Regeln auferlegen, wie groß die Ressourcen zur Risikominimierung sein müssen.

Die öffentliche Meinung ist bei dieser Debatte leider oft keine große Hilfe, sondern eher ein Beispiel dafür, wie agitatorisch und polarisierend argumentiert wird. Nach dem von Donald Trump geschürten Sturm auf das Kapitol am 6. Jänner dieses Jahres wurde sein Twitter-Account unter großem Jubel ohne zeitliche Begrenzung gesperrt. Ich fand es damals schon seltsam, dass sich aller Unmut gegen diesen einen Account richtet, während etwa die Taliban auf Twitter ungehindert Kriegspropaganda und Aufwiegelung betreiben.

Die sozialen Medien sind ein Spiegel unserer Welt. Sie werden sie nicht verbessern, sie sollten sie aber auch nicht schlechter machen. Dann kriegen sie von mir ein Like.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur