Speed kills, Version Blau-Schwarz 2.0
Plötzlich ging es rasend flott. Ein Wochenende, mehr Zeit brauchten FPÖ und ÖVP nicht, um Milliarden ausfindig zu machen und die Budgetsanierung zu fixieren. Die drängendste Herausforderung der Republik: prompt erledigt. Am Freitag erst starteten die Koalitionsverhandlungen zwischen Blau und Schwarz, am Montag lag ein grober Haushaltsfahrplan vor, am Donnerstag Budgeteckdaten, mit denen ein EU-Defizitverfahren vermieden werden soll. Sechs Milliarden in sechs Tagen: Gedacht als schlagender Beweis dafür, was alles geht, wenn zwei entschlossene Partner energisch Probleme anpacken. Das ist auch ein bewusster Kontrapunkt zu den quälend zähen Verhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos. Dort wurde monatelang in x Untergruppen von Hunderten Verhandlern auf 306 Seiten bis ins letzte Detail festgehalten, worüber (Un-)Einigkeit besteht – FPÖ und ÖVP hingegen reichten wenige Tage, vier Seiten Papier und ein paar Überschriften.
Kommt Ihnen bekannt vor? Kein Wunder. Klingt alles verflixt nach einer Neuauflage von „Speed kills“, dem Motto, das ÖVP-Klubchef Andreas Khol seinerzeit im Jahr 2000 als Arbeitsprinzip der schwarz-blauen Koalition ausgab. Tempo, Tempo, Tempo! Wer Debatten und Widerstände vermeiden will, muss rasend schnell handeln. Hauptsache, schnelle Schlagzeilen: Nach dem Muster regierte auch Türkis-Blau ab 2017. Knackiger Titel und plakatives Ziel in einer „Punktuation“, Details folgen irgendwann. Große Show, wenig Inhalt, viel Verpackung.
Mit „Speed kills“, Version 2.0, wiegt sich Blau-Schwarz in der Hoffnung, dass einige Schmähparaden unentdeckt bleiben. Etwa der Taschenspielertrick von der „ausgabenseitigen“ Sanierung: Natürlich stecken in den FPÖ-ÖVP-Budgetplänen auch Maßnahmen auf der Einnahmenseite. Beispiele gefällig? Steuerausnahmen werden gestrichen (auf E-Autos oder Photovoltaik), Tabak- und Grunderwerbssteuer ausgeweitet, Abgaben (etwa für den Führerschein) steigen, der Klimabonus wird gestrichen – er war als Ausgleich für die CO2-Steuer gedacht. Ohne Klimabonus bleibt die CO2-Steuer übrig. All das fällt unter höhere Abgaben und Steuern, auch wenn noch so oft das Gegenteil vorgegaukelt wird.
Möglichst rasch sollen Einigungen präsentiert, mit Karacho die Koalition vereinbart werden – damit ja keine Zeit zum Nachdenken und Diskutieren bleibt. Eine riskante Strategie.
Und die FPÖ ihrem größten Fansektor in der ÖVP, dem Wirtschafts- und Industrieflügel, noch so vollmundig das Blaue vom Himmel verspricht. In diesem ÖVP-Teil hat die Operation, sich FPÖ-Obmann Herbert Kickl schönzureden und ganz fest an die Wandlung vom polternden Populisten zum seriösen Sanierer zu glauben, längst begonnen.
Für den – wesentlich größeren – Teil der zutiefst verunsicherten und verstörten ÖVP setzt die Parteispitze auf „Speed kills“ 2.0 und Flucht nach vorn. Möglichst rasch sollen Einigungen präsentiert, mit Karacho die Koalition vereinbart werden – damit ja keine Zeit zum Nachdenken und Diskutieren bleibt. Eine riskante Strategie.
Denn die schwarze Glaubwürdigkeit ist nach dem radikalen 180-Grad-Schwenk vom Kickl-Gegner zum Kickl-Steigbügelhalter massiv beschädigt. Selbst den größten Optimisten in der ÖVP dämmert, dass der Preis des Machterhalts extrem hoch wird, inklusive demonstrativer Demütigung, wie Kickl, nicht ohne gewissen Triumphalismus, gleich zu Beginn klarmachte. Am gravierendsten wohl: Alle verzweifelten ÖVP-Versuche, sich eine andere, eine weniger radikale FPÖ herbeizufantasieren, sind genauso zum Scheitern verurteilt wie der überhebliche ÖVP-Wunsch, sich einen anderen FPÖ-Obmann als Kickl aussuchen zu können. Ohne Kickl keine FPÖ. Und Radau und Bierzelt-Stil gehören genauso zur FPÖ wie Burschenschaften und Anti-Establishment-Poltern.
Schon Wolfgang Schüssel, Kanzler der ÖVP-FPÖ-Koalition von 2000 bis 2006, kam mit dem Schweigen zu FPÖ-Ausfällen kaum nach. Auch Nachnachfolger Sebastian Kurz hatte unter Türkis-Blau alle Mühe, Rattengedichte und Liederbetätigungen zu „Einzelfällen“ zu verharmlosen. Sogar das Ibiza-Video wiederholt sich: Diesmal mit Aufnahmen vom FPÖ-Stammtisch, wo über EU, ÖVP und „Gesindel“ hergezogen wird – und Untergriffen und unverhohlenen Drohungen, dem „Standard“ die Presseförderung zu entziehen. So viel zur Medienfreiheit à la FPÖ. Von Außen- und Europapolitik ganz zu schweigen, die auf Bundesebene viel mehr ins Gewicht fällt als auf Landesebene.
Die ÖVP braucht sich keine Illusionen zu machen, auf wen sie sich einlässt. Sie wird aus dem Wundern, was alles möglich ist, gar nicht mehr herauskommen.